Das sechste Mal in Folge glücklichstes Land der Welt!?

Unglaublich, aber wahr. Wieder wurde festgestellt, dass Finnland das glücklichste Land der Welt sein soll. Sein soll, weil – wie auch schon die Male zuvor – es viele Finn*innen einfach nicht glauben wollen. Auch Corona und der Ukrainekrieg scheinen die Glücklichkeit nicht in ihren Grundfesten erschüttert zu haben. Diese Tatsachen machen eine Inaugenscheinnahme der auch schon früher erwähnten Gründe notwendig.

Ich halte nichts von Begründungen, die die Moomins oder den Weihnachtsmann dafür verantwortlich machen wollen. Und erst recht nicht von Begründungen, die keine sind, weil sie nicht stimmen. So werden Lehrkräfte leider nicht besonders bezahlt, jedenfalls nicht im Vergleich zu Deutschland (in amerikanischen Berichten wird das immer wieder erwähnt, lässt aber nur darauf schließen, dass in den USA unterrichten wirklich nur grottenschlecht bezahlt wird).

Claudias Helsinki hat auch schon vorher (als wir es zum vierten Mal wurden) zum Thema geschrieben, aber nun werde ich weit ausholen. Besonders das Thema Gesundheitssystem habe ich in diesem Blog unter die Lupe genommen, weil es gerade kein Thema sein kann, dass zum Glücklichsein beiträgt: https://claudiashelsinki.com/2021/03/21/finnland-zum-vierten-mal-gluecksweltmeister/

Vorher ein paar vorauseilende Bemerkungen. Wie immer im Leben, geht es um Definitionen. Wer Glücklichkeit damit definiert, mit einem Lächeln auf den Lippen durch die Welt zu gehen, der liegt damit in Finnland falsch. Das tun sie nämlich definitiv nicht, jeder, der im Winter in einem finnischen Bus oder Zug gesessen hat, kann das bestätigen. Glücklichkeit wird hier wohl eher definiert als Zufriedenheit.

Hier meine elf Gründe, warum Finnland das glücklichste Land der Welt ist. Schreibt in euren Kommentaren, was ich von meiner Liste hält!

1. Geringere Erwartungen als woanders. Der Finne ist froh, wenn er zum Arzt kommt. Dass man in anderen Ländern sich sogar den Arzt auswählen kann, weiß er in den meisten Fällen nicht. Ganz klar: Wenn die Erwartungen niedrig genug sind, dann können sie auch erfüllt werden. Ich weiß, dass diese Begründung Finnland nicht sehr schmeichelt, aber sie ist so grundlegend und trifft für alle Lebensbereiche zu. Jeder kann das bei sich selbst überprüfen. Wer nur glücklich sein kann, wenn man eine Million Euro auf der hohen Kante hat, der macht sich selbst unglücklich. Erhöhe deine Erwartungen und mache dich damit unglücklich. Schraube sie herunter und werde glücklich. Das muss nichts mit Schwarz-Weiß-Denken zu tun haben. Es lohnt sich halt nur wesentlich mehr, realistische Erwartungen zu haben, die man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch erreichen kann – durch eigenes Zutun. Dieser Punkt ist zum Beispiel besonders relevant, wenn man es mit Berufsnörglern zu tun hat, die sich über Dinge beschweren, die es nicht verdienen.

Foto mit freundlicher Genehmigung von H. und M. Jäschke.

2. Soziales Vertrauen. Finn*innen vertrauen sich untereinander mehr als viele andere (Quelle: https://yle.fi/a/74-20022538 ). Man vertraut auch darauf, dass die Zukunft besser sein wird als die Gegenwart und dass es viele Chancen in der Zukunft gibt (Quelle: https://yle.fi/a/74-20021087 ). Dass der andere genauso ist wie man selbst. Und man vertraut dem Staat, dass er in erster Linie seinen Bürger*innen etwas Gutes will. So ungefähr genau das Gegenteil von dem, was in den USA geglaubt wird.

3. Das Gefühl von Sicherheit beziehungsweise das Vertrauen, dass man etwas tun kann, um die Sicherheit zu erhöhen.

Ohne Zweifel hat der Ukraine-Krieg die Menschen in Finnland zutiefst betroffen gemacht. Man ist aber ganz pragmatisch. Was gehört jetzt gemacht? Das hat man sofort gemacht. Alle wissen sofort, was zu tun ist. Man kann also durch sein eigenes Verhalten darauf Einfluss nehmen, wie sicher der gesamte Staat ist.

Foto aus Porvoo mit freundlicher Genehmigung von H. und M. Jäschke.

4. Gleichberechtigung

In Finnland haben Frauen viel mehr Chancen als in mitteleuropäischen Ländern. Wenn auch hier immer noch etwas zu tun ist. In Deutschland erlebt jede Frau irgendwann in ihrem Leben, dass der Trottel die Stelle bekommen hat, weil er halt Mann ist und sie nicht, weil sie halt Frau ist. Passiert hier zwar auch, aber nicht so häufig.

Foto mit freundlicher Genehmigung von H. und M. Jäschke.

5. Soziale Mobilität

Ich kenne persönlich hier einige Menschen, die aus Arbeiterfamilien stammen und es trotzdem geschafft haben, Karriere zu machen. Die Gesamtschule ermöglicht es immer noch allen, eine gute Grundlage zu erhalten. Es wird also nicht „vorgesiebt“ wie in Deutschland und Österreich. Wie schwierig es ist, nach dem Besuch der Hauptschule im Nachhinein zum Beispiel einfach nur das das Abitur zu machen, habe ich bei mehreren Personen im Bekanntenkreis gesehen. Auch ist es in Finnland viel einfacher, während des Arbeitslebens sich weiterzubilden. Wer merkt, dass er aufgrund seines Hintergrunds eine gläserne Decke vor sich hat, kann nicht wirklich zufrieden sein.

Das Seifenblasenmädchen von Hans op de Beeck, siehe auch https://claudiashelsinki.com/2023/02/04/die-stille-parade-des-hans-op-de-beeck-im-amos-rex/

6. Geringe Korruption

Die nordischen Staaten sind in den Antikorruputions-Statistiken immer diejenigen, die die besten Plätze belegen. Genauso wie in den Glücklichkeitsstatistiken. Also muss es da einen Zusammenhang geben.

7. Mehr Platz für den Einzelnen. Der Mensch ist zwar ein Rudeltier und braucht die anderen Mitglieder des Rudels, aber jedes Rudel braucht auch sein Revier. Wenn man den Quadratkilometer mit über 200 anderen teilen muss, dann wird es manchmal eng. Der eigene Freiraum.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Mihku Mikkonen

8. Das Jedermannsrecht. Die Freiheit, sich bewegen zu können, auch auf dem Privatgrund eines anderen, natürlich mit der entsprechenden Höflichkeit und dem entsprechenden Abstand (siehe Nummer 2). Da die meisten nordischen Staaten das Jedermannsrecht kennen, gibt es hier einen ähnlichen Zusammenhang wie bei der geringen Korruption.

9. Deutlichere Jahreszeiten und die dazu passenden Aktivitäten in der Natur. Wir Menschen waren alle mal Jäger und Sammler. Diesen steinzeitlichen Impulsen kann ich in Finnland folgen, während in Deutschland eine Regel nach der anderen einen daran hindert. Ob es das Fischen ist, bei dem man in Deutschland oder Österreich erst eine Fischerkarte und den Kurs dazu benötigt. Oder die absurden Pilzsammelregeln in Österreich. Auch in den Nationalparks dürfen in Finnland Beeren und Pilze gesammelt werden (in Deutschland und Österreich ist das strengstens verboten).

Foto von wilden Blaubeeren mit freundlicher Genehmigung von Mihku Mikkonen.

10. Zufriedenheit dadurch, dass man sich zum Teil aus der Natur versorgen kann. Nichts gab unseren Vorfahren mehr Zufriedenheit als am Feuer zu sitzen und genug Nahrung für den Tag gefunden zu haben. Also die Grundbedürfnisse gestillt zu haben. Das kann jeder in Finnland erleben, wenn der Eimer voller Beeren oder Pilze ist. Oder man seinen eigenen Fisch gefangen hat.

11. Natürliches Feuer im Saunaofen. Die Zufriedenheit beim Betrachten des Feuers kommt dadurch, dass es jahrtausendelang dafür gesorgt hat, dass wilde Tiere sich einem Feuer nicht näherten, es war also der Garant für Sicherheit. Von der kuscheligen Wärme mal abgesehen. Deswegen fühlt es sich so gut an, Holzscheite ins Feuer zu legen und zu beobachten.

Foto von Preisselbeeren mit freundlicher Genehmigung von Mihku Mikkonen.

Wie viel davon ist für den Einzelnen kopierbar? Wahrscheinlich nur der erste und der letzte Punkt. Beim Holzofen bzw. Saunaofen muss ich auch noch das Glück haben, in einer Wohnung zu wohnen, wo ich mir solch einen zulegen kann. Im Urlaub dagegen kann ich viel von den Glücklichkeitsmomenten erleben. Im Mökki (siehe in https://claudiashelsinki.com/2021/01/02/auf-der-suche-nach-einem-eigenen-moekki-teil-1-die-finanzen/ und https://claudiashelsinki.com/2021/01/10/auf-der-suche-nach-einem-eigenen-moekki-teil-2/) in Finnland – kommst du diesen Sommer? 

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