Der ultimative Brutto-Netto-Vergleich von Finnland, Österreich, Deutschland und der Schweiz

Gerade eben haben es alle gelesen. Finnland wurde zum siebten Mal Weltmeister im Glücklichsein. Claudias Helsinki hat zum Thema schon geschrieben: https://claudiashelsinki.com/2023/04/15/das-sechste-mal-in-folge-gluecklichstes-land-der-welt/. Wer aber meint, dass es auch was mit den Finanzen zu tun haben muss, dann muss ich enttäuschen. Nehmen wir uns das Thema deswegen unter die Lupe, auch weil ich immer wieder gefragt werde, wie es um einen Vergleich von Nettoverdiensten zwischen Finnland und den deutschsprachigen Ländern steht.

Eingang des Finnischen Verteidigungsministeriums am Kasarmitori (das Gebäude wurde von Carl Ludwig Engel geplant). Die Verteidung erfordert Steuermittel, in Finnland hat man sie nicht schleifen lassen wie in den meisten anderen deutschsprachigen Ländern. Ausnahme ist nur die Schweiz.

Zugegeben ist es nicht das einfachste Thema, denn der Teufel steckt, wie immer, im Detail. Ich habe mir bei den folgenden Ausführungen die beste Mühe gegeben, die Sachverhalte korrekt anzugeben, falls jedoch jemand einen Fehler oder eine gröbere Ungenauigkeit finden sollte, dann bitte ich euch herzlich, es mich wissen zu lassen, so dass ich korrektere Angaben machen kann.

Der reine Nettoverdienst sagt aber nicht die ganze Wahrheit aus. Man muss auch beachten, wie viel denn schon „bezahlt“ ist, wenn ich z.B. in einem bestimmten Krankenversicherungssystem versichert bin oder wie viel ich an Rente oder Pension am Ende „heraushole“. Aber dazu später mehr.

Alle Angaben wurden für unselbständig Erwerbstätige, die nicht im Rentenalter sind, erfasst. Auch wurde nicht eruiert, wie die Situation während einer möglichen Arbeitslosigkeit aussieht.

Alle Beträge wurden auf einen Euro abgerundet. In Österreich wurde so gerechnet, dass der Jahresbezug das 13. und 14. Monatsgehalt inkludiert. Außerdem wurde bei Österreich auf die monatliche Berechnung der Einzelposten verzichtet, da das 13. und 14. Gehalt sozialversicherungsmäßig und lohnsteuerlich besser behandelt werden wie die normalen Monatsbezüge.

Wir gehen von folgenden Grundannahmen aus: Alleinstehend (weil bei Verheirateten die verschiedenen Steuerklassen das Bild verzerren, in der finnischen Steuer wird ja jeder wie ein Alleinstehender behandelt), 55 Jahre alt, ohne Kirchenzugehörigkeit, keine Kinder, in Deutschland wurde das Bundesland Baden-Württemberg gewählt (weil man eines nehmen musste) und in Finnland die Gemeinde Espoo (als zweitgrößte Gemeinde Finnlands, weil sich viele das teure Helsinki nicht mehr leisten können und wollen und die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung wahrscheinlich im Hauptstadtbereich wohnt). Es wurden keine Absetzbeträge für Fahrten zum Arbeitsort angegeben (weil diese ja sehr unterschiedlich ausfallen, leider würde Finnland da schlechter aussehen, weil wir mittlerweile auf einem Eigenbehalt von 900 Euro für die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz sitzen bleiben, Fahrten mit dem Auto werden nur in ganz extremen Bedingungen anerkannt, nicht so großzügig wie in Deutschland). In Deutschland wurde von einem Krankenkassenzusatzbetrag von 1,7% ausgegangen. In Finnland wurde eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft (die hier sehr üblich ist) nicht ins System eingegeben, die Beträge könnte man von der Steuer abziehen.

Bei allen Staaten bis auf die Schweiz konnte der Prozentsatz der Sozialversicherung angegeben werden, bei dem die Renten-/Pensions-, Kranken-, Unfall- und die Pflegeversicherung (nur in Deutschland und Österreich) berücksichtigt wurden. Wobei die Unfallversicherung in den meisten Fällen komplett vom Arbeitgeber getragen werden; deren Geltung jedoch sehr unterschiedlich aussehen kann; so ist man in Deutschland, Österreich und in Finnland ausschließlich im Zusammenhang mit der Arbeit versichert, in der Schweiz inkludiert die vom Arbeitgeber gezahlte Unfallversicherung auch Unfälle in der Freizeit). Da in der Schweiz jeder Arbeitnehmende seine Krankenversicherung (KV) selbst bezahlt und je nach Wunsch unterschiedlich hohe Beträge bezahlt werden, wurde als Zahlung ein angenommener Krankenversicherungsbeitrag von 500 CHF pro Monat berechnet (das ist in jedem Fall ohne eine Zahnarztversicherung, die sich laut der meisten Experten aber eh nicht lohnt).  Um für die Vergleichbarkeit möglichst an das Level der finnischen Krankenversicherung zu kommen, würden übrigens circa 400 CHF schon ausreichen (HMO Gesundheitsmodell als Anlaufstelle; für Nicht-Schweizer: bei dem Modell verpflichtet man sich, sich erst an ein von der Versicherung betriebenes Gesundheitszentrum zu wenden, das dann weiter entscheidet, zu welchem Arzt oder welcher Ärztin ich gehe). Weitere Bausteine sind dann aber nicht enthalten. Das entspricht ungefähr einem Grundversicherungsmodell. Sonst wäre es eine Schieflage, da das finnische Krankenversicherungsmodell keine Oberarzt- oder Chefarztbehandlung und auch keine Zweitbett- oder Einzelbettbehandlung im Krankenhaus vorsieht (sorry, nein, geht nicht, wenn du das willst, dann musst du die gesamte Behandlung/Operation komplett privat in einer Privatklinik durchführen, dann geht es).

Bei der Renten-/Pensionsversicherung wurde in der Schweiz nur die erste Säule (AHV) berücksichtigt, da in allen anderen Ländern die zweite und dritte Säule bis auf Ausnahmen so gut wie nicht vorhanden sind und deswegen keine Vergleichbarkeit gegeben wäre. Mit anderen Worten verbessert sich die steuerliche Lage in der Schweiz noch mehr, da man die Beiträge für die zweite Säule (betriebliche Pensionskasse) und die dritte Säule (die „private“ Säule) ja auch von der Steuer absetzen kann. Und nicht nur absetzen, denn es verbessert natürlich die finanzielle Situation im Alter. Das konnte hier nicht berücksichtigt werden, ist aber unterm Strich ein wichtiges Thema. Da schneidet Deutschland übrigens von allen Ländern am Schlechtesten ab (das wäre noch einen eigenen Blog wert…).

Kein Bargeld! Nur Karte! heißt es hier auf dem Senatsplatz im Sommer 2023.

Der Kurs für die Umrechnung betrug zum Zeitpunkt des Schreibens des Blogs bei: 1 CHF = 1,02 Euro, daher kann man fast 1:1 rechnen.

 FinnlandÖsterreichDeutschland Kl. 1 und 4DE Kl. 3CH in CHF
Lebenshaltungs-kosten116,2101100 als Vergleichswert159,8
Median[1] des verfügbaren Jahres-einkommens 201023.711 (1976/ Monat)27.612 (2301/ Monat)24.152 (2013/ Monat)31.294 CHF (2608/ Monat)
durch-schnittlicher Bruttomonats-verdienst3.464 (2018) (41.568 im Jahr)3.254 (2018) (39.048 im Jahr)3.715 (2018) (44.580 im Jahr)6.665 CHF (2020) (79.980 CHF im Jahr)
Brutto/a – Monat50.000 – 4.16750.000 – 4.16750.000 – 4.16750.000 – 4.16750.000 – 4.167  
Renten- und Arbeitslosen-versicherung in Prozent insgesamt9,44% (8,65% Rente; 0,79% Arbeitslosen-versicherung)13,25% (10,25% Pension; 3% Arbeits-losenver-sicherung)21,2% (18,6% Rentenversicherung; 2,6% Arbeitslosen-versicherung)10,8% ohne KV
in FIN: Abgaben (maksut); in D: Kranken-versicherung; in CH: Kranken-versicherung0,51% Kranken-versicherungs-beitrag; (sairaanhoito-maksu); 1,01% Tagesgeld-versicherung (sairaus-vakuutus-maksun päiväraha-maksu); also 1,55%3,87% Krankenver-sicherungs-beitrag; plus 0,5% Arbeit-erkammer-umlage und 0,5 % Wohnbau-förderungs-betrag; also 4,87%18% (14,6% Krankenversicherung; 3,4% Pflegeversicherung)kein Prozentbeitrag, sondern 500 CHF x 12 Monate = 6000 CHF
Sozialabgaben insgesamt[2]10,99%17,93%39,2%23%
Sozial-versicherung5.4958.96410.52510.52511.495 (5.495 CHF + 6000 CHF)
Steuer in Prozent19% (davon 5,3% Gemeinde-steuer[3])11,5%14,4%6,5%3,5 % (Baar, Kanton Zug) bis 9,5 % (Avully oder Chancy, Kanton Genf)
Lohnsteuer (bei Finnland inklusive Gemeinde-steuer) in Euro9.4775.7517.1773.2701.745 CHF  in der Ge-meinde Baar ( Zug)  – 4.748 CHF in Avully oder Chancy (Genf)
Netto35.780 – 2.98235.285 – 2.94032.298 – 2.69236.205 – 3.01733.757 (Avully) – 2.813 –   36.760 (Baar) – 3063
im Vergleich zu Finnland 42 Euro weniger als in FIN/Monat!290 Euro weniger als in FIN/Monat!35 Euro mehr als in FIN/Monat!81 Euro mehr im Monat in Baar; 169 Euro weniger in Avully
Die Situation bei 50.000 Euro im Jahr brutto

Wer hätte das gedacht? Finnland steht für Alleinstehende – jedenfalls bei einem Einkommen von 50.000 Euro brutto im Jahr – als bestes Wohnland da.

Für Verheiratete ist es Deutschland (außer man verdient sehr viel, dann wird es irgendwann die Schweiz). Wenn man in Deutschland verheiratet ist, dann lohnt es sich, mit jemandem verheiratet zu sein, der wesentlich weniger verdient. Das klassische Hausfrauenmodell wird von der deutschen Steuer also noch immer begünstigt. Hier die Erläuterung für Finnen: Der Besserverdienende nimmt die Steuerklasse 3 und wird steuerlich besser behandelt. Der Schlechterverdienende nimmt die Steuerklasse 5 und wird schlechter behandelt. In der Gesamtheit wird das Paar jedoch besser behandelt, als wenn beide alleinstehend wären. Ganz schlecht: Kaum jemand macht sich die Mühe, den Unterschied auszurechnen und dem / der Schlechterverdienenden seinen (meistens: ihren) Nachteil auszugleichen.

Da in der Schweiz die Krankenversicherungsbeträge nicht prozentmäßig bezahlt werden, sondern als Kopfpauschalen, lohnt es sich dort nicht, Geringverdiener zu sein. Mit einem Jahreseinkommen von brutto 50.000 Euro liegt man in der Schweiz aber deutlich unter dem Durchschnitt, so dass wir zur Vergleichbarkeit eine Jahreslohnsumme nehmen müssen, die mehr an den Schweizer Durchschnitt herankommt. Deswegen hier erst die Berechnung von einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro und danach mit 70.000 Euro. Um dem Schweizer Durchschnittseinkommen von jährlich umgerechnet 92.748 Euro nahe zu kommen, müsste ich auch diese Zahl berechnen, aber das spare ich mir für später auf. Viele weitere Szenerien könnten durchgerechnet werden. Wie sieht die Situation mit Kindern aus (wie hoch sind die Kinderfreibeträge)? Bis zu welchem Alter der Kinder kann man hier Beträge absetzen? In Finnland ist es mit der Vollendung des 18. Geburtstages aus. Auch bei einem Studium kann man keine weiteren Beträge absetzen, in Deutschland (und wohl auch in Österreich und der Schweiz, korrigiert mich, wenn das nicht stimmen sollte) geht das Absetzen von sehr hohen Unterhaltsbeträgen bis zu dem Abschluss der ersten Berufsausbildung. Hier nur die wichtigsten Zahlen. Andererseits spart man in Finnland bei kleinen Kindern enorm, weil der Höchstbetrag für eine Vollzeitkinderbetreuung bei circa 250 Euro im Monat liegt, in der Schweiz kann man da gerne eine Null dranhängen.

 FinnlandÖsterreichDeutschland mit Steuerklasse 1 (Single) oder 4DE mit Steuerklasse 3 (der/die Besser-verdienende in einer Ehe)CH
Brutto/a – Monat60.000 – 5.00060.000 – 5.00060.000 – 5.00060.000 – 5.00060.000 – 5.000
Sozialversicherung6.59410.75612.63012.63012.594 (6.594 CHF plus 6.000 CHF)
Lohnsteuer (bei Finnland inklusive Gemeindesteuer)13.2128.6319.8675.3342.718 CHF (Baar) – 7.591 CHF (Avully)
Netto40.836 – 3.40340.612 – 3.38437.503 – 3.12542.036 – 3.50339.815 CHF – 3318 (Avully)  bis 44.688 CHF – 3724 (Baar)
Gewinner ist die deutschsprachige Schweiz. 19 Euro weniger als in FIN/Monat!278 Euro weniger als in FIN/Monat!100 Euro mehr im Monat als in Finnland!zwischen 85 Euro weniger als die Finnland (in Avully) und 321 Euro mehr als in Finnland (in Baar)
Die Situation bei 60.000 Euro Bruttojahresverdienst

Bei diesem Jahreseinkommen fängt die Schweiz an, sich zu lohnen. Die steuerfreundlichsten Gemeinden und Kantone lassen einen besser dastehen als alle anderen untersuchten Länder. Wer dagegen in der französischsprachigen Schweiz wohnt (die im Durchschnitt höhere Steuern vorschreibt), der könnte als Verheirateter in Deutschland schon besser dastehen. Da die Schweiz jedoch wesentlich höhere Lebenshaltungskosten hat, wird es sich auch hier noch nicht wirklich lohnen, für diesen Lohn in die Schweiz zu ziehen. Nicht umsonst liegt das Durchschnittseinkommen in der Schweiz bei annähernd 80.000 CHF bzw. Euro.

Die Daten kann man auch so lesen, dass in allen Ländern bis auf die Schweiz ein Gehaltssprung von brutto 10.000 Euro im Jahr oder 833 Euro im Monat in Österreich einem 444 Euro netto, in Finnland 421 Euro und in Deutschland einem Alleinstehenden 433 Euro, einem Verheirateten in Steuerklasse 3 jedoch 486 Euro mehr übriglassen. Die Progression schlägt also in allen diesen Staaten erbarmungslos zu und lässt den Grenzsteuersatz (das ist der Satz, mit dem jeder zusätzlich verdiente Euro besteuert wird) in den meisten Fällen auf fast 50% steigen. Ganz anders in der Schweiz: Selbst in der steuerstrengsten Gemeinde der Schweiz bleiben einem von 10.000 Euro mehr im Jahr noch 6067 Euro übrig. In Baar sieht es noch fantastischer aus: Von 10.000 Euro mehr jährlichem Verdienst bleiben mir sage und schreibe 7928 Euro! Natürlich steht auf einem anderen Blatt, ob ich in Baar überhaupt eine bezahlbare Wohnung finden würde… aber diese beiden Beispiele sind die Extreme, in der Realität wohnt und zahlt man irgendwo dazwischen.

Noch eine andere Botschaft kann man dieser Tabelle entnehmen: Ab einem Jahresverdienst von circa 50.000 Euro lohnt sich das Arbeiten und Wohnen in der Schweiz, vorher sollte man als Verheirateter lieber in Deutschland und als Single lieber in Finnland wohnen (vorausgesetzt, man denkt nur an das liebe Geld). Fast kann man sich schon denken, was folgt. Denn je mehr man verdient, desto besser wird es für einen, wenn die Krankenversicherung als Pauschale bezahlt wird und nicht als Prozentbeitrag vom Gehalt.

Der einzige Badestrand von Suomenlinna. Der Bau der Seefestung Suomenlinna kostete nicht nur die Steuerzahler in Schweden Geld (damals gehörte Finnland zu Schweden), sondern auch in Frankreich, das sich in einer Koalition mit Schweden befand und den Bau der Festung mit Gold sponsorte. Hier allerdings schon Kanonen aus der russischen Zeit.
 FinnlandÖsterreichDeutschland mit Steuerklasse 1 oder 4DE mit Steuerklasse 3CH in CHF
Brutto/a – Monat70.000 5.83370.000 – 5.83370.000 – 5.83370.000 – 5.83370.000 – 5.833
Sozialversicherung7.69312.54913.909 13.909 13.693 (7.693 CHF plus 6.000 CHF KV)
Lohnsteuer (bei Finnland inklusive Gemeindesteuer)17. 26011.5127.73613.096  3733 (Baar) – 10.609 (Avully)
Netto jährlich – monatlich45.047 – 375445.939 – 3.82848.355 – 4.03042.995 – 3.58345.698 – 3808 (Avully) – bis 52.574 – 4381 (Baar) –
im Vergleich zu Finnland 74 Euro mehr als in FIN/Monat!276 Euro mehr als in FIN/Monat!171 Euro weniger im Monat als in Finnland!Zwischen 54 und 627 Euro monatlich mehr als in Finnland!
Die Situation bei 70.000 Euro Bruttojahresverdienst

Besserverdienende mit der klassischen Rollenverteilung Haupt- und Nebenverdiener werden in Deutschland durch das Steuersystem also eindeutig bevorzugt. Allerdings ist das Ganze so kompliziert, dass es nicht als ungerecht auffällt. Obwohl es das ist. Zunächst ist es eine Frage, ob man überhaupt die Heirat steuerlich bevorzugen sollte – welche Begründung gibt es dafür? In der Schweiz werden Verheiratete steuerlich schlechter behandelt (hier im Blog habe ich es nicht berücksichtigt, da ich in der Hauptsache die Stellung Lediger untersuchen wollte), mit der Begründung, dass die Kosten ja sinken, wenn man zusammenwohnt und viele Posten nur einmal anfallen; z.B. die Anschaffung oder der Ersatz von Haushaltsgütern. Es gibt also keine logische Begründung dafür, Verheiratete nur für den Fakt, dass sie verheiratet sind, steuerlich zu bevorzugen. Wenn man verheiratete Paare schon bevorzugen möchte, dann sollte man es bei beiden Partnern gleichwertig tun. Wenn der Zweck die Begünstigung von Familien sein soll, dann kann man das durch großzügige Kinderfreibeträge tun und nicht durch die Begünstigung bei der Steuer. So sagen das im Übrigen nicht nur ich, sondern auch die meisten Experten, das deutsche Modell gilt als ungerecht und veraltet.

Das Ganze muss man jedoch auch unter der Perspektive der Lebenshaltungskosten ansehen. Als Deutsche*r musst du 16% in Finnland mehr als zuhause in Deutschland und in der Schweiz circa 60% mehr verdienen. Auf diversen YouTube-Kanälen hört man die Faustregel, dass man in der Schweiz das 1,5fache wie in Deutschland verdienen muss – das kommt also hin. Leider funktioniert das für Finnland in der Regel nicht, weil die Löhne und Gehälter in Finnland unter denen von Deutschland liegen. Das macht die ganze Sache schwierig.

Der Bär ist in Finnland das Symbol für die Steuer. Hier an der Wand von dem Gynasium Otaniemen Lukio, gestaltet von dem Künstler Jussi TwoSeven.

Noch eine weitere Schwierigkeit gibt es bei der Vergleichbarkeit der Krankenversicherung: In den deutschsprachigen Ländern sind viele Leistungen inkludiert, die ich in Finnland entweder überhaupt nicht erhalte oder nur erhalte, wenn ich sie mir bezahle. So ist für Frauen über 50 (in Deutschland: alle Frauen ab 20 jedes Jahr!) ein PAP-Abstrich nur alle fünf Jahre vorgesehen, will man mehr, muss man selbst bezahlen. Der sogenannte HPV-Test wird in Finnland regelhaft nur alle fünf Jahre bezahlt, und das nur zwischen dem 30 und 65. Lebensjahr (in Deutschland alle drei Jahre, ab dem 20. Lebensjahr und nach oben unbegrenzt). Ab dem Rentenalter trägt man nicht mehr zum Bruttosozialprodukt bei und der finnische Staat scheint da auf ein frühes sozialverträgliches Ableben hoffen. So muss muss den Gynäkologen sowieso privat bezahlen, weil man nur mit einem ernsten Problem eine Überweisung zum Facharzt erhält. Oder man bekommt von der beruflichen Gesundheitsvorsorge nur maximal drei Facharzttermine pro Jahr bezahlt (beim kommunalen System erhält man in der Regel keine Facharzttermine, es sei denn, man ist sterbenskrank). Brauche ich mehr, muss ich es selbst privat bezahlen. Oder natürlich die Tatsache, dass ich in Finnland bei jedem Medikament mich prozentmäßig an den Kosten beteiligen muss. Das führt alles dazu, dass man am Ende wesentlich mehr privat für die Gesundheit ausgeben muss, wenn einem zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen wichtig sind oder man wegen chronischer Krankheiten andauernd Ausgaben für rezeptpflichtige Medikamente hat. Gesunde Menschen haben gleichzeitig Vorteile in Finnland: Sie zahlen wenig Sozialversicherung und können sich so viel Geld sparen. Übrigens gibt es in Finnland auch keine Gesundheitskuren, sondern nur Reha, z.B. nach einem Autounfall. Falls eine Reha wegen Bypass oder Ähnlichem erforderlich ist, dann wird diese ambulant absolviert, im Extremfall in Chargen von jeweils einer Woche, im Abstand von einem halben Jahr. Wenn man dann in dem halben Jahr sich nicht an das gehalten hat, was in der Reha vorgeschrieben wurde, dann kann es sein, dass die weitere Woche gar nicht genehmigt wird. Auf jeden Fall wird man sehr getadelt, wenn man dann zum Beispiel nichts abgenommen hat, wenn das auf dem Programm stand. Die Finnen sind bei so was knallhart.

Mich hat insgesamt erstaunt, wie schlecht Deutschland für Singles abschneidet und wie ungerecht dort die Situation aussieht. Und dass man in Deutschland für die Sozialversicherung das abdrückt, was man in Finnland für die Steuern abdrückt, insbesondere bei den etwas höheren Einkünften.

Liebe Gäste in Helsinki: Nach der Lektüre dieses Blogs werdet ihr verstehen, warum die einfache Frage „Und wie ist es mit der Steuer?“ eben gar nicht so einfach zu beantworten ist! Der Teufel steckt, wie immer, im Detail. Man kann also nicht pauschalisieren. Jeder Einzelfall gehört genau abgewogen. Ist man verheiratet, hat man Kinder, wie alt sind diese usw. Ohne eine Beantwortung dieser Fragen kann man also nicht pauschal sagen, wo es sich zu leben lohnt – wenn man sich nur die Finanzen anschaut. Aber das Leben besteht ja aus so viel mehr, das auch wichtig ist.


[1] Der Median ist immer aussagefähiger als der Durchschnitt, siehe auch mein Blog unter: https://claudiashelsinki.com/2019/05/04/wie-hoch-ist-der-durch-schnitts-verdienst-in-finnland/. Ich gebe hier auch den Median an, weil der durchschnittliche Jahresverdienst regelmäßig bei Lesern zu Empörung führt, das seien doch erfundene Zahlen, weil man im Leben nie so viel verdiene. Dieser Median entspricht circa dem Nettoeinkommen. Leider waren – zumindest auf die Schnelle – keine aktuelleren Zahlen zu finden.

[2] Der finnische Text auf der Berechnungsseite lautet: „Palkastasi peritään verojen lisäksi eläkevakuutusmaksua 8,65 % ja työttömyysvakuutusmaksua 0,79 %. Jos haluat laskea, kuinka paljon palkastasi jää käteen verojen ja maksujen jälkeen, lisää veroprosenttiisi 9,44 %.” Krankenversicherung und Krankentagegeldversicherung gelten also weder als Steuern noch als Sozialabgaben, sondern als “Abgaben” (maksuja).

[3] Als Wohnsitzgemeinde ist hier Espoo angenommen werden, kann sich geringfügig unterscheiden, jedoch nicht so sehr wie in der Schweiz. Eine genaue Erklärung des Sachverhalts würde den Umfang dieses Blogartikels sprengen. Die meisten Finnen können das nicht erklären…

Am 1.3.2024: Amtseinführung des neuen Präsidenten Alexander Stubb. Hier auf dem Weg vom Präsidentenpalast zum Parlament. Der Amtsantritt erfolgt traditionsgemäßig im Frack und mit Zylinder.
Links der alte Präsident Sauli Niinistö (im Moment der Aufnahme sind es die letzten Minuten mit ihm als Präsidenten), rechts der neue Präsident Alexander Stubb.

PS Zum Glück wird dieser Blog nicht auf dem Staatsgebiet von Bayern geschrieben. Ich versuche, geschlechtsneutral zu schreiben, ohne dogmatisch zu sein. Und verbieten würde ich es mir nicht lassen, schon gar nicht von Herrn Söder.

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