Merz träumte von der Steuererklärung auf dem Bierdeckel. Nicht ganz auf einen Bierdeckel, aber fast, passt die finnische Steuererklärung. Jedoch wage ich zu behaupten, dass Merz unter Umständen nicht ganz glücklich wäre mit einer so einfachen Steuererklärung. Sie können selbst entscheiden, ob Sie es wären – im Folgenden werde ich Ihnen das finnische Steuersystem in seinen Grundzügen erläutern. Und weil das Thema insgesamt so komplex ist, in zwei Teilen, den ersten Teil im Blog von dieser Woche, den nächsten Teil nächste Woche. Besonders werde ich auf die Unterschiede zwischen dem deutschen und finnischen System eingehen. Und zum Schluss gibt es noch eine Überraschung, etwas, dass das finnische System einmalig in Europa macht (ob weltweit, wage ich nicht zu beurteilen).
Unterschied Nr. 1:
In Finnland braucht man im Regelfall keinen Steuerberater, sogar als Kleinunternehmer kommt man ohne aus. Das System ist so beschaffen, dass jeder es verstehen kann, sogar die Oma aus Pihtipudas (Pihtiputaan mummo, in finnischen Sprichwörtern ist das immer die bescheidene, einfache Oma, wenn sie etwas kann oder versteht, dann kann es jeder, das finnische Gegenstück zum Otto Normalverbraucher, in Finnland ist sie halt weiblich, siehe mein Artikel Es ist wie ein Lottogewinn, als Mädchen in Finnland geboren zu werden). Die finnische Logik besagt, dass ein System, das einen Experten erfordert, nicht gerecht sein kann, weil sich nicht alle einen Experten leisten können bzw. das Ergebnis nicht immer den Aufwand rechtfertigt. Das finnische Formular kommt mit 14 Posten aus, die ausgefüllt werden müssen. In Deutschland kann es einem passieren, dass man mit Hilfe des Steuerberaters vielleicht tausend Euro herausschlägt, dann aber das Geld gleich dem Steuerberater übergeben darf, wenn man damit überhaupt auskommt.
Unterschied Nr. 2:
Der Zeitaufwand für die Steuererklärung ist viel kleiner. Wer Arbeitnehmer ist, kommt mit zwei bis drei Stunden aus (vorausgesetzt, er muss nicht erst die Quittungen von zehn verschiedenen Stellen hervorkramen).
Warum?
Hier der Prozess in Kurzform: im Frühjahr eines jeden Jahres erhält jeder Bürger eine vorausgefüllte Steuererklärung von vier DIN-A-4 Seiten, einsehbar auf seinem elektronischen Steuerkonto (bisher auf Papier, ab 2019 elektronisch). Diese umfasst schon einen Vorschlag, wie viel Sie zurückzahlen müssen oder erstattet bekommen, falls Sie nichts an der Erklärung ändern (müssen oder wollen). Fast alle Stellen haben die Verpflichtung, Zahlungen direkt an das Finanzamt zu melden, so alle gezahlten Löhne samt Abgaben, die Sozialversicherung KELA (von der wir nur eine haben, umfasst sowohl Krankenkasse als auch sämtliche Sozialleistungen), die Gewerkschaften, die Banken melden Dividenden, für Eigenheime und Eigentumswohnungen geleistete Zinszahlungen und andere Zahlungen. Die Aufgabe eines jeden Bürgers ist es nun, fristgerecht bis zum Mai (es gibt zwei Abgabetermine, der eigene ist auf der Steuerklärung vermerkt, es gibt KEINE Fristverlängerungen aus irgendwelchen Gründen, ab 2019 zahlt man für zu spät eingereichte Steuerklärungen eine Pauschalstrafe von 50 Euro) erstens zu überprüfen, ob alle Angaben stimmen und zweitens die Abgaben einzutragen, die der Staat nun wirklich nicht wissen kann, das sind in allererster Linie:
- berufliche Literatur und berufliche Ausgaben
- Ausgaben für ein eigenes Arbeitszimmer bzw. die Nutzung der eigenen Wohnung für die Arbeit (es gibt drei verschiedene Pauschalen nach Berufsgruppen und Art der Arbeit, keine echten Kosten!)
- Fahrten zwischen der Arbeitsstelle und zuhause, pauschaliert, es werden nur die öffentlichen Verkehrsmittel anerkannt, Ausnahmen gibt es nur, wenn die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln pro Weg über zwei Stunden (!) dauern würde oder der Beruf die Mitnahme von schwerem Gerät nötig macht, etwa ein Bassist; ich weiß von einem Fall, in dem einem Kleinunternehmer mit einem Fensterputzunternehmen nur die öffentlichen Verkehrsmittel angerechnet wurden! Der Straßenbahnfahrer wollte ihn aber einige Male mit der Fensterputzleiter nicht mitnehmen… Bei diesem Posten brauchen Sie keine Quittungen aufbewahren, es werden maximal 11 Monate an Fahrten anerkannt, schließlich sollen Sie ja auch Urlaub machen.
- Einnahmen aus diversen anderen Geldquellen wie Vermietung (z.B. Airbnb oder eine Investitionswohnung) und eigener Firma (mit eigener Firma gibt es dann einen extra Bogen dazu), bei sogenannten Kapitaleinnahmen zahlen Sie eine Pauschalsteuer von 30%, z.B. bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, und zwar immer über den vollen Betrag, egal wie viel der Immobilie schon abbezahlt sind.
- die von Ihnen geleisteten Unterhaltszahlungen (nur an Kinder, Unterhaltszahlungen an Ex-Partner gibt es nicht, auch keinen Elternunterhalt)
- Ihre Kontonummer für mögliche Erstattungen, das aber nur, falls Sie sich geändert hat, ansonsten hat die Steuer die alte im System gespeichert
Quittungen brauchen nicht eingereicht zu werden, Sie müssen sie nur zuhause für eine eventuelle Steuerprüfung aufbewahren. Was Sie einreichen, ist eine Liste der Ausgaben für berufliche Ausgaben und Literatur. Auf dem Formular ist Platz für zwei Sätze, um den Beamten Ihre spezielle Berufssituation klar zu machen. Schon geklärt ist zum Beispiel: Tageszeitungen dürfen nie abgesetzt werden (so kann ich als Fremdsprachenlehrer auch keine deutschen Tageszeitungen absetzen). Berufskleidung kann nur abgesetzt werden, wenn man sie im Alltagsleben nicht verwenden kann (vergessen Sie also die Kosten für weiße Hemden). Bei Fortbildungsprogrammen muss das Programm vorgelegt werden, bleibt man auch nur einen Tag länger am Ort der Fortbildung, gilt die Reise als halb privat und damit nicht absetzbar. Ausnahme gibt es nur, wenn man nachweisen kann, dass die Abreise am nächsten Tag inklusive der weiteren Übernachtung günstiger gekommen ist als eine Abreise direkt nach der Fortbildung, aber für diese Entscheidung musste ein höherer Gerichtshof angerufen werden! Glücklicherweise trifft dieses sehr oft auf Flüge zu, da der Rückflug am Freitag nach Hause oft der teuerste ist, am Samstag oder Sonntag zu fliegen, spart Geld.
Zwischen Mai und November hat das Finanzamt Zeit, die Fälle zu bearbeiten und schickt gegen Ende November die endgültigen Steuerbescheide heraus. Rückzahlungen erhalten Sie rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft, nachzahlen müssen Sie bei kleineren Beträgen noch im selben Jahr, bei größeren Beträgen in zwei Beträgen im laufenden und im folgenden Jahr.
Nächste Woche geht es weiter mit den Punkten drei bis zehn. Lassen Sie sich überraschen!
4 Gedanken zu “Die finnische Steuerklärung: der feuchte Traum eines Wirtschaftswissenschaftlers (Teil 1)”