Über ein Jahr ist es her, seit Russland die Ukraine heimtückisch überfallen hat. Nichts ist, wie es vorher war. In Finnland haben wir die Situation sehr genau verfolgt, im Frühstücksfernsehen geben sich sowohl amtierende als auch pensionierte Militärs die Klinke in die Hand und analysieren die Lage.
Neben all dem schrecklichen Leid und Terror, den die ukrainische Bevölkerung erleben muss, gibt es Auswirkungen auf die Finanzen, die jeder in Finnland im eigenen Geldbeutel zu spüren bekommt. Und natürlich ist ein Krieg mit Russland nicht mehr nur ein rein hypothetisches Zukunftsszenario, sondern eine – wenn auch ziemlich unwahrscheinliche – Möglichkeit. Männer und Frauen, die jetzt den Militärdienst absolvieren, lernen nicht mehr, sich gegen die „gelben Truppen im Osten“ (aka Russland), sondern sich gegen Russland zu verteidigen. Es werden also keine Codewörter mehr verwendet, sondern die Realität. Man hört davon, dass es unter den Wehrpflichtigen, aber auch unter Reservisten einige gibt, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, weil ein Kriegsszenario nicht mehr ganz in das Reich der Unwahrscheinlichkeit gehört. Wen wundert es.
Da meine deutschsprachigen Blogleser*innen – das erkenne ich an den Blogs, die besonders beliebt sind – besonders an Zahlen interessiert sind, wollen wir uns in diesem Blog aber den knallharten Fakten zuwenden. Was hat sich im finnischen Geldbeutel getan? Alle Zahlen stammen aus einem Artikel des Helsingin Sanomats vom 28.2.2023.
Benzin
Wie wir uns alle erinnern, ging der Ölpreis sofort nach Ausbruch des Krieges in die Höhe. Vor dem Krieg kostete ein Barrel Brent 98 Dollar, nach zwei Wochen waren es schon 128 Dollar. Im Januar kostete ein Liter Benzin im Durchschnitt 1,88 Euro, im März 2022 waren es schon 2,28 Euro. Im Juni erreichte der Benzinpreis einen Höchststand von 2,60 Euro. Ich selbst kann mich erinnern, an Mittsommernacht überall Preise von 2,99 Euro für den Liter gesehen zu haben (und mich spätestens dann gefreut zu haben, dass ich kein Auto mehr besitze). Insbesondere Diesel trifft es hart, da der russische Anteil am gesamten in die EU importiertem Diesel in den letzten Jahren zwischen 45 und 75 Prozent geschwankt hat. Nun will niemand mehr Dieselautos kaufen und für gebrauchte Diesels will keiner mehr so viel zahlen.

Gas
Fehlt in der finnischen Aufzählung, weil in Finnland wesentlich weniger Gas verwendet wird als in Mitteleuropa. Wir haben hier nie darauf getraut, dass die Russen ständig liefern würden. Finnland ist bereits wenige Wochen nach Kriegsbeginn unabhängig von russischen Gaslieferungen geworden.
Strom
Am schlimmsten war die Situation im August und September. An der Strombörse kostete Strom 280% vom Vorjahrspreis. Nur gut, dass Strom in Finnland insgesamt längst nicht so viel kostet wie in Deutschland (siehe mein Blog https://claudiashelsinki.com/2022/09/04/inflation-2022-in-finnland-gibt-es-immer-noch-sieben-dinge-die-guenstiger-sind-als-in-deutschland/ und https://claudiashelsinki.com/2019/12/01/sieben-dinge-die-in-finnland-guenstiger-sind-als-in-deutsch-land/) . Sich glücklich geschätzt haben sich diejenigen, die mit ihrem Stromanbieter einen zeitlich befristeten Vertrag über mehrere Jahre abgeschlossen hatten, dessen Gültigkeit noch läuft – dann muss der Anbieter zum vereinbarten Preis liefern. Wessen Vertrag aber genau zu diesen Zeiten ablief, der war dem Marktpreis ausgeliefert. Am liebsten boten die Stromhersteller Verträge zu dem aktuellen Börsenstrompreis an. Mit allen Schwankungen, von Stunde zu Stunde. Jeder fing an, zu sparen. Auch diejenigen, die noch einen gültigen Vertrag haben – denn nach Ablauf müsste man es sowieso machen. Man erzählte sich Tipps, z.B. Waschen in der Zeit, in der der Strom am günstigsten ist, also in der Nacht. Am einfachsten geht es mit einer App vom eigenen Stromanbieter, die genau zeigt, wie viel Strom man verbraucht. Mit Datum 7.3. war der günstigste Vertrag ohne Börsenstrom für knapp 12 Cent die Kilowattstunde zu haben (https://www.sahkon-kilpailutus.fi/vertailu/). Zum Vergleich: in Deutschland zahlt man 45 Cent (https://www.vergleich.de/strompreise.html), also mehr als dreimal so viel.
Lebensmittel
Diese sind seit Januar 2022 im Preis um 16,3% gestiegen. Und sie waren schon vorher nicht gerade billig…
Die Supermärkte berichteten, dass die Kunden immer mehr auf die Produkte mit rotem Punkt ausweichen (Claudias Helsinki hat darüber berichtet: https://claudiashelsinki.com/2021/05/30/die-drittbeste-erfindung-finnlands-der-rabattsticker/), das sind Produkte, deren Haltbarkeitsdatum sehr bald abläuft. Diese werden markiert und mit minus 30% verkauft, ab zwei Stunden vor Beginn des Ladenschlusses (das heißt, in den meisten Fällen ab 21.00 Uhr) sind es dann minus 60%. Ein super System, von dem ich auch ausgiebig Gebrauch mache. Man muss es mit System machen: Um 20.30 da sein, damit man das bekommt, was man haben will, wer erst um 20.55 kommt, der findet kaum noch etwas.

Börse
Die Helsinkier Börse hat es auch gebeutelt. Im Vergleich zum Vorjahr hatte sie am 7.3.2022 fast 20% verloren. Wichtigster Grund: Einige Anleger hielten Finnland als Nachbarland von Russland für gefährdet. Besonders erwischt hat es Finnair, das die Überfliegmöglichkeit über Sibirien im Asiengeschäft verloren hat. Aber auch Nokian renkaat (Reifen), die stark im Russlandgeschäft involviert waren und natürlich auch Fortum (minus 41%) – das Debakel mit Juniper, das auch den Deutschen in Erinnerung ist. Im Augenblick (Ende Februar) ist man insgesamt immer noch 9% hinter den Zahlen von 2022. Wo Menschen verkaufen, gibt es aber immer auch Chancen. Gute Firmen haben mitleiden müssen, obwohl es eigentlich keinen guten Grund dafür gibt, da konnte man günstig einkaufen und sollte jetzt einfach abwarten, dass die sich wieder erholen (z.B. das Flagschiff Kone).

Zinsen
Bei den Zinsen gibt es nun einen Sachverhalt, den Deutsche oft nicht verstehen. Finnische Wohnungskredite sind Euribordarlehen, dass heißt in über 95% der Fälle an den Euribor gebunden. Das bedeutet im Klartext, dass Finnen keinen fixen Zinssatz für ihren Wohnungskredit bezahlen – für die Deutschen wäre das ein Horrorszenario, hier ist es aber normal. In den meisten Fällen wird der jährliche Euribor gewählt (die Banken bieten oft auch gar nichts anderes an). Man hat einen jährlichen Stichtag, an dem der an diesem Tag gültige Euriborzinssatz genommen wird, der für das folgende Jahr gültig ist.
Was ist nun der Euribor? „Euribor steht für Euro Interbank Offered Rate. Euribor bezeichnet den durchschnittlichen Zinssatz, denen viele europäische Banken (die sogenannten Panel-Banken) einander Anleihen in Euro gewähren. Bei der Festsetzung der Euribor-Werte werden die höchsten und niedrigsten 15% der gemeldeten Werte nicht berücksichtigt. An jedem Arbeitstag um 11:00 Uhr Central European Time werden die Euribor-Werte festgesetzt und allen teilnehmenden Partnern und der internationalen Presse mitgeteilt (…) Eine Übersicht über alle Werte finden Sie unter aktuelle Euribor Werte.“
(zitiert von https://www.euribor-rates.eu/de/was-ist-der-euribor/ )
Dem Euribor schlagen die Banken nun einen Zinsaufschlag drauf, der dem individuellen Risiko des Kunden oder der Kundin entspricht und gleichzeitig auch den Gewinn der Bank darstellt (zum Euribor-Wert hat sich die Bank das Geld ja selbst geliehen). Dieser Aufschlag (wird marginaali, also die Marginale genannt) ist auch davon abhängig, in welchem Jahr der Kredit aufgenommen wurde und wie gut man verhandelt hat, zum Beispiel, wenn man von verschiedenen Banken Angebote einholt (Extratipp: Erst die eigene Bank fragen, dann mehrere andere und wenn es eine gibt, die ein besseres Angebot macht, nochmals zur eigenen gehen und sagen, „die x-Bank nimmt nur einen Aufschlag von y% – Können Sie mir ein dementsprechendes Angebot machen?“ So habe ich das gemacht, hat funktioniert.) Der Aufschlag ist dann auch der Zinssatz, der galt, als der Euribor im Minusbereich herumdümpelte. Der Euribor lag vor dem Krieg unter Null, nun liegt er bei 3,985 Prozent. Die Aufschläge liegen zwischen minimal 0,2% (= vor Jahren war das mal die kleinste Marginale, wenn du Millionär bist und kein Risiko für die Bank darstellst) bis circa 0,8% (= wenn du ein kleineres Risiko darstellst, bist du ein echtes Risiko bekommst du den Kredit gar nicht). Die durchschnittliche Marginale liegt im Augenblick bei 0,7%. Mit anderen Worten ist der Zinssatz für deinen Kredit von 0,7% auf 4,658% gestiegen! Du kannst aber auch sagen, dass der Zinssatz sich mehr als versechsfacht hat.
Nun hängt es davon ab, welche Art von Kredit du hast. Hast du einen Annuitätenkredit (in Finnland mit einer sich ändernden Annuität, genannt annuiteetti), so steigt der Anteil der Zinsen bei der Zahlung und du zahlst zusätzliche Zinsen. Das deswegen, weil ein Stichtag vereinbart ist, bis wann der Kredit zurückgezahlt sein muss.
Ein Beispiel: Du hast einen Kredit von 200.000 Euro aufgenommen, auf 20 Jahre. Bei einem Zinssatz von 0,7% (deine Marginale, bis zum Krieg) zahlst du im Monat 893 Euro. Nach dem Krieg 1283 Euro, 390 Euro mehr. Das tut weh. Geht nur, wenn du dein Auto verkaufst oder zusätzliche Stunden arbeitest oder einen zusätzlichen Job annimmst. Weil keiner 390 Euro einsparen kann, indem er am Essen spart.
Was dem Deutschen die gestiegene Gasrechnung ist, ist dem Finnen also die gestiegene Zinszahlung.
Sondertilgungen sind übrigens im finnischen System ohne Strafzahlungen so gut wie immer möglich und werden sehr gerne genutzt (Steuerrückzahlungen, Erbschaften, Bonuszahlungen können dann verwendet werden, um den Kredit früher abzubezahlen).
Hast du aber ein tasalyhennyslaina (Tilgungsdarlehen mit veränderlichem Zinssatz), dann verlängert sich die Zeit, in der du den Kredit abbezahlst. Das wird in der Regel von der Bank nur dann angeboten, wenn es noch genug Zeit für das Abzahlen des Darlehens gibt, es also zum Beispiel dein erster Kredit ist und du noch relativ jung bist.
Übrigens bieten die finnischen Banken zusätzliche Versicherungsprodukte an, um das Risiko von wachsenden Zinsen im Griff zu halten. Dann kann man z.B. für einen fixen Betrag versichern, dass die Zinsen nicht über einen bestimmten Zinssatz steigen (wird auf Finnisch korkokatto genannt). Wer sich diese Produkte anschaut, der merkt jedoch, dass sie sich finanziell oft nicht lohnen. Wenn man nämlich denselben Betrag in die Rückzahlung investiert oder selbst noch nebenbei spart, um im Ernstfall höhere Zinsen aushalten zu können, der läuft meistens günstiger. Es sind also Produkte für den Seelenfrieden – gedacht für Menschen, die Probleme mit möglichen Schreckensszenarios haben.
Steuern
Nachdem Finnland sein Verteidigungsbudget verdoppelt hat, können wir nicht wirklich damit rechnen, dass die Steuern sinken würden.

Gehaltserhöhungen?
Da tut sich weiterhin wesentlich weniger als in Mitteleuropa. Alle Gehaltserhöhungen sind bisher unter der Inflationsrate von circa 7-9% geblieben, meistens sogar erheblich darunter.
Damit haben Finnen einen Reallohn, der um 4,6% gesunken ist (circa 7% Inflation und circa 2% Gehaltssteigerung). Wir sind jetzt auf das Niveau von vor 8 Jahren zurückgefallen (https://www.uusisuomi.fi/uutiset/yksi-kuva-nayttaa-kylman-todellisuuden-suomalaisten-reaaliansiot-ovat-vajonneet-8-vuoden-takaiselle-tasolle/61c160a8-2b90-4b23-98dc-1788c752f640. Andere Quellen sprechen sogar davon, dass es 11 Jahre sind: https://www.lahitapiola.fi/tietoa-lahitapiolasta/uutishuone/uutiset-ja-tiedotteet/uutiset/uutinen/1509579653924
Das letzte Mal ist der Reallohn in Finnland 1957 so stark gesunken. In Deutschland waren es übrigens 4,1% (https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/lohn-gehalt-inflation-reallohn-100.html).
Die Experten sind sich einig, dass es Jahre dauern wird, bis wir wieder auf das Niveau von vor dem Krieg zurückkehren werden. Aber kein Grund zum Jammern. Hauptsache, uns bleibt das Schicksal der Ukraine erspart. Alles andere ist in den Griff zu bekommen, mit finnischem Sisu, na klar.
PS Wer nachschauen will, über Sisu gibt es natürlich schon einen Blog: https://claudiashelsinki.com/2019/11/02/unueber-setzbare-woerter/
PSS Und weil es so ein ernstes Thema ist, zum Ausgleich ein paar Bilder, die meine Kollegin Petra Bercher (Spezialistin für Schweden, wo sie seit Jahren lebt) in Finnisch-Lappland letztes Wochenende geschossen hat. Wir haben nämlich erhöhte Chancen für Nordlichter! Meine Bloggerkollegin Tarja bietet dieses Jahr auch ihre erste Nordlichterreise an: https://tarjasblog.de/Finnland/meine-erste-polarlicht-fotoreise-als-guide/, wer Lust hat, der sollte mitfahren – und in Helsinki mich als Guide nehmen.



Ich bin gerade wegen Todesfall in der Familie in Turku. Ganz so schlimm kann es nicht sein, bzw. spüre ich weder eine Verhaltensänderung zum Engergiesparen noch beim Konsum.
Benzin kostete vor dem Krieg von den deutschen stündlichen Ausschlägen nach unten abgesehen ungefähr soviel wie in Deutschland wie Finnland praktisch identisch. In der Zwischenzeit hat die deutsche Rot-Grüne Regierung sogar noch Steuern draufgeschlage, also müsste es es eigentlich weniger kosten. GANZ IM GEGENTEI: Im März 2023 sind an deutschen Tankstellen abseits der Autobahnabzocker Monopolisten (dort 2,279) die Preise bei 1,659-1,759€ – in Finnland verharren sie um die 2€, an bestimmen Wochentagen oder Locations mal auf 1,9 runter. Die meisten meiner Bekannnten und Verwandet tanken 98er Sprit, weil der besser wäre für den Motor – Legende und Opfer der Ölverkäufer – was soll’s – genau daran liegt es aber, dass 98 und 95 praktisch gleich viel kostet on Finnland. Benzinpreis ist kein Thema, interessiert nur die Deutschen! Hier spiel IMHO eindeutig eine “die bezahlen alles” Einstellung eine Rolle!
Als wir am Dienstag von Tallinn übersetzten war sofort der Unterschied zum Baltikum sichtbar: alles war hell erleuchtet, jedes Geschäft lieber bissle mehr LED-Lampen als zu wenig “kost’ ja nix”, die Büros von Espoo wie immer hell erleuchtet vermutlich die ganze Nacht. Und unser Neffe wohnt in einem Neubauviertel in Turku Skanssi da hängt ein LED TV am Eingang, das läuft wie auch die Beleuchtung (nicht sicher?) 24/7 – nur weil es halt echt geil ist, wenn man ein schwarzes Brett durch ein LED TV ersetzen kann. Die Inhalte des Boards ändern sich nicht wöchtenlich und vermutlich auch nicht monatlich (Bewohner Namen, Hausregeln etc, alles ganz cool elektronisch, immer aktuelll). Bei den Lampen bin ich mich echt nicht sicher, in älteren Häusern ist da oft Zeitschaltuhr und Bewegungsmelder dran. Aber ich glaube das brennt 23/7
Wäre nicht schlimm, wenn der Strom vom eigenen Solardach käme, der kommt aber aus dem Superduper Atomkraftwerk Rauma. Alles unter Kontrolle, Strom kommt in Finnland aus der Steckdose – nachhaltig.
Und wehdem wer sowas hinterfragen würde? Auch noch ein Ausländer, da gibt’s keine Gnade: Finnen sind die besten der Welt was Öko angeht.
Liebe Claudia, danke für den Hinweis! Bin schon im Reisefieber! 🙂