Oft werde ich von Gästen darauf angesprochen, dass es viele Ähnlichkeiten zwischen den nordischen Ländern gäbe, andere sagen dann schnell, dass Finnland mit seiner so ganz anderen Sprache dann doch komplett aus der Reihe tanzt.
Eine erste Meinungsverschiedenheit kann schon entstehen, wenn man sich darüber einigen muss, welche Staaten wir hier vergleichen wollen: sind es nur die Vollmitglieder des Nordischen Rates Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Finnland, oder inkludiert man auch die assoziierten Mitglieder Åland, Färöer und Grönland oder nur diejenigen von ihnen, die sich auf der skandinavischen Kalotte befinden – dann würde Finnland ja herausfallen?
Der Einfachheit halber beziehe ich in dem folgenden Vergleich mich in der Regel auf die Vollmitglieder des Nordischen Rates und versuche hier einmal einen kleinen Überblick darüber, in welchen Punkten sich die nordischen Staaten ähneln und in welchen sie dann doch unterschiedlich sind. Diese Aufzählung ist in keiner Form als vollständig anzusehen, wenn Ihnen noch selbst etwas einfällt, dann schicken Sie mir Ihre Vorschläge, sicherlich ist mir der eine oder andere Unterschied noch nicht aufgefallen.
Zuerst die Gemeinsamkeiten:
die geographische Lage im Norden. Die nördlichste Hauptstadt der Welt ist Reykjavik auf einem Breitengrad von 64° 08′ N, nur 269 Kilometer südlich des nördlichen Polarkreises.
Die anderen drei großen Hauptstädte sind fast auf demselben Breitengrad zu suchen:
Helsinki liegt auf 60° 10′ N, 24° 56′ O, Oslo etwa südlicher auf 59 Grad und 55 Minuten nördlicher Breite, Stockholm geringfügig südlicher auf 59 Grad und 20 Minuten nördlicher Breite. Kopenhagen gilt damit schon als Riviera des Nordens mit seinen 55 Grad.
Die Lage im Norden hat vielfältige Auswirkungen: der Sommer bekommt eine ganz besondere Bedeutung, zum Beispiel auch längere Sommerferien als in Deutschland. Das Mitsommernachtsfest wird vor allem in Schweden und Finnland, aber auch in Norwegen sehr intensiv gefeiert und gilt neben Weihnachten als der wichtigste Tag des Jahres. Ein Tipp: falls Sie an Mittsommer sich hier im Norden befinden, stellen Sie sich darauf ein, dass alle Geschäfte zu haben und nichts funktioniert!
Die Bedeutung der Natur und das Jedermannsrecht. In allen nordischen Staaten gilt (mit der Ausnahme von Dänemark) mit kleinen landesspezifischen Abweichungen das Jedermannsrecht, das es jedem erlaubt, sich frei in der Natur zu bewegen, auch auf Privatbesitz, sofern man sich in höflicher Entfernung von Privatgebäuden bewegt. Pilze und Beeren dürfen gesammelt werden, für das Fischen gibt es landesspezifische Regeln, so ist das Angeln mit einfacher Wurmangel in Finnland fast überall ohne Lizenz erlaubt, in Norwegen ist es im Meer erlaubt. Interessanterweise findet sich ein ähnliches Recht auch in Schottland (nicht jedoch in den anderen Teilen Großbritanniens!) und mit kantonsspezifischen Besonderheiten auch in der Schweiz.
Die gemeinsame Geschichte, vor allem unter schwedischer (Finnland und Norwegen) und auch dänischer (Norwegen und Island) Herrschaft. Das hatte einheitliche Gesetze zur Folge.
Ein gemeinsames lutherisches Erbe:
Alle nordischen Staaten sind in der Mehrheit Lutheraner. Daher ist man eher liberal gesinnt, typischerweise geht man zwei Mal im Jahr in die Kirche: einmal zu Weihnachten und einmal, wenn jemand in der Familie heiratet, getauft wird oder stirbt. In allen nordischen Ländern wurde die Reformation von oben durch den König eingeführt.
Indigene Minoritätsbevölkerung:
Mit der Ausnahme von Dänemark haben die drei anderen großen nordischen Staaten mit den Samen die einzige indigene Bevölkerung des europäischen Kontinents – Grönland hat mit den Inuit ebenfalls eine eigene indigene Bevölkerung. Welches wertvolle Erbe man hier hat, hat man leider erst in den letzten Jahren begriffen, es gibt noch viel zu tun bei der Rettung der samischen Kulturen und Sprachen.

Rentierzüchter am Lemmenjoki-Fluss in Lappland: Goretex und Tracht passen zusammen
Transparenz in der Verwaltung:
in den nordischen Ländern gelten Regierungsdokumente als öffentlich, es sei denn, sie sind extra als geheim gekennzeichnet. Daher müssen alle Behörden interessierten Bürgern oder Journalisten diese zur Verfügung stellen. Diese Regelungen verhindert sehr effizient Korruption – daher ist eine weitere Gemeinsamkeit die weltweit geringste Korruption. Hier wechseln sich die nordischen Staaten ab, im Augenblick führt Neuseeland als Nummer 1, allerdings folgen auf den weiteren Plätzen Dänemark, Finnland, Norwegen, die Schweiz, Singapur und Schweden, Island hat Platz 13 (Korruptionswahrnehmungsindex 2017, aus wikipedia).
In Norwegen, Schweden und Finnland kommt man – ganz im Geiste der Transparenz – ganz ohne Steuergeheimnis aus. Jährlich werden in der Tageszeitung die Hitlisten der Bürger veröffentlicht, die die meisten Steuern gezahlt haben. Diese Ausgabe der Tageszeitung geht meist weg wie warme Semmeln, will doch jeder wissen, ob der Lamborghini vor der Tür des Nachbarn auch seine Richtigkeit hat (hat er die eigene Firma verkauft?). Dabei wird säuberlich getrennt nach Einkommen aus Kapitaleinkünften und solches aus Arbeitstätigkeit.
Hohe Steuern: gleichzeitig zahlt man ziemlich viel Steuern, zum Beispiel auch Kommunalsteuern. Im Gegenzug sind die Abzüge für die Sozialversicherungen nicht ganz so hoch wie in Deutschland, da etwa die Gesundheitsversorgung zum größten Teil über die Steuern finanziert wird und nicht über Versicherungsbeiträge.
Hohe Gleichberechtigung der Frau: Für ein weibliches Baby lohnt es sich, in einer der nordischen Staaten zur Welt zu kommen: hier hat es die besten Chancen, ein wirklich selbstbestimmtes Leben führen zu können, ohne Einschränkungen nach dem leider immer noch zu häufigen Motto „du bist doch ein Mädchen“. Hierzu auch ein früherer Blogbeitrag von mir: Es ist wie ein Lottogewinn, als Mädchen in Finnland geboren zu werden
Einschränkungen bei der Alkoholgesetzgebung:
in allen nordischen Staaten hat man eine Zeit des totalen Alkoholverbots hinter sich und noch heute kontrolliert der Staat ziemlich streng, wie viel Alkohol seine Bürger zu welchen Zeiten wo kaufen und konsumieren dürfen. Staatseigene Läden wie Alko in Finnland oder Systembolaget in Schweden sind die einzigen, die Hochprozentiges verkaufen dürfen. 2018 gab es in Finnland eine klitzekleine Lockerung: jetzt dürfen auch Starkbiere bis 5,5% im Supermarkt verkauft werden, davor waren es nur Leichtbiere bis 4,7% Alkohol.
Liberale Gesetze über die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und einfache Ehescheidungen: Dänemark war weltweit das erste Land, das 1989 gleichgeschlechtliche Partnerschaften registrierte, Finnland war 2017 das letzte Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe einführte. In allen nordischen Staaten gilt für die Ehescheidung seit langer Zeit das Zerrüttungsprinzip.
Mehr ein Zufall, aber auch eine Gemeinsamkeit ist es, dass in allen nordischen Staaten ausländische Fernsehfilme nicht synchronisiert werden. Alle Filme sind jeweils mit der Originaltonspur versehen, mit Untertiteln in den jeweiligen Landessprachen. Daher ist der Klang von Englisch bereits kleinen Kindern bekannt, automatisch lernt man beim Fernsehen. Um etwas verstehen zu können, muss man jedoch lesen können, das erhöht die Motivation enorm, schnell korrekt lesen zu lernen. Dann erstaunt es auch nicht, dass Finnen Weltmeister beim Ausleihen von Bibliotheksbüchern sind und es praktisch keine Analphabeten mehr gibt – mit Ausnahme von einigen Flüchtlingen, die in den letzten Jahren in Finnland gelandet sind. Vielleicht wäre das Senden von Originalfilmen mit Untertiteln einmal eine Anregung im Rahmen des Bildungsauftrages von ARD und ZDF?
Es gibt jedoch auch Unterschiede:
Wikinger waren nur die Norweger, Schweden und Dänen – Finnen waren nie darunter.
Zur Nordischen Passunion gehören alle Mitglieder des Nordischen Rates, jedoch ohne Grönland. Sie erleichtert Bürgern der nordischen Staaten, sich auf dem Territorium aller nordischer Staaten zu bewegen und eine Arbeit anzunehmen, und könnte salopp als „nordisches Schengen“ bezeichnet werden.
Es gibt kleine, aber feine Unterschiede im Bildungssystem, die einen eigenen Blogbeitrag wert sind. So hat Schweden sein Bildungssystem sehr stark für private Schulen geöffnet, Finnland beharrt auf ausschließlich öffentlichen Schulen und hat ebenso wie Schweden die Regelung, dass jedes Kind das Recht auf zwei Stunden pro Tag /Woche muttersprachlichen Unterricht hat (Vorrausetzung ist, dass sich insgesamt fünf Kinder für eine Unterrichtsgruppe finden), eine unglaublich wichtige Basis für die erfolgreiche Integration von Migrationskindern!
In der nordischen Staatenfamilie gibt es nur ein wirklich reiches Familienmitglied: Norwegen, das durch seine Erdölfunde wohlhabend geworden ist. Den anderen geht es nicht wirklich schlecht, insbesondere Dänemark und Schweden, jedoch gilt Finnland immer ein bisschen wie der arme Bruder, gingen doch viele arbeitslose Finnen in den Sechzigern und Siebzigern zum Arbeiten nach Schweden. Auch heute noch zeigt sich in kleinen Details, dass es Finnland oft finanziell nicht ganz so gut geht wie seinen westlichen Nachbarn.
Sowohl in Norwegen als auch in Schweden erhält jeder Bürger nach dem Eintritt ins Rentenalter eine Volksrente (die unabhängig von der Erwerbsrente ist, die sich nach den eingehalten Beiträgen richtet), in Finnland gibt es auch diese Volksrente, jedoch wird diese entweder überhaupt nicht oder nur teilweise ausgezahlt, sobald die Erwerbsrente einen Betrag von gut 1000 Euro überschreitet.

Norwegerinnen in Nationaltracht am norwegischen Nationalfeiertag
Auch sprachpolitisch gibt es einige Unterschiede: Norwegen hat zwei Nationalsprachen, beides Varianten des Norwegischen, das dem Dänischen näherstehende Bokmål und Nynorsk, das als Schriftsprache erst im vorletzten Jahrhundert erschaffen wurde. Diese stehen jedoch so nahe zueinander, dass man von Dialekten sprechen kann. In Dänemark, Schweden und Island gibt es nur jeweils eine relevante Nationalsprache (wenn man von den absoluten Minoritätssprachen absieht), während Finnland mit Finnisch und Schwedisch zwei Amtssprachen hat und jeder in der Schule beide zu lernen hat. Da Schwedisch sowohl von den Dänen als auch von den Norwegern gut verstanden wird (anders herum jedoch nicht so gut), würde sich Schwedisch auch in vielen Situationen als Lingua franca des Nordens eignen, wenn nicht alle auch so gut Englisch könnten! In der Praxis wird daher oft Englisch genutzt, was dann auch die Isländer gut verstehen können.
Geopolitisch gibt es ebenso einige Unterschiede: nur Norwegen und Finnland haben Russland als Nachbarn, und Finnland hat darüber hinaus die längste Außengrenze eines EU-Staates mit Russland. Das erfordert eine andere Politik als zum Beispiel die von Schweden, hat doch Schweden Finnland als Pufferzone zwischen sich und dem russischen Bären (so wird Russland oft in Finnland dargestellt).
Und noch ein paar vielleicht eher kuriose Unterschiede:
Finnland ist von allen nordischen Staaten der einzige Staat, wo Roma und Sinti in vielen Fällen noch ihre traditionelle Tracht tragen (für die Frauen ein schwarzer langer Samtrock auf Reifen und eine Spitzenbluse, die Männer tragen schwarze Hosen und ein weißes Hemd).
Finnland ist auch der einzige Staat, wo die direkten Einkünfte aus dem eigenen Pilz- und Beerensammeln nicht versteuert werden müssen (in Schweden und Norwegen sehr wohl!).
Diese Liste werde ich bei Bedarf auch erweitern und verlängern, ich freue mich auf Ihre Tipps zum Thema!
2 Gedanken zu “Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den nordischen Ländern”