Es ist wie ein Lottogewinn, als Mädchen in Finnland geboren zu werden

Wenn man zufällig als Mädchen zur Welt kommt, dann sind dazu die besten Länder der Welt die nordischen Länder. In Finnland besitzen Frauen seid 1906 sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht, als erste in Europa und als zweite in der Welt nach Australien 1902. Neuseeland vergab zwar schon 1893 Frauen das Recht zu wählen, sie durften jedoch erst 1919 als Kandidatinnen gewählt werden.
Während des Krieges waren 65 % der unter 50 jährigen Männer im Wehrdienst. Die Frauen waren die Arbeitskraftreserve und machten die Hälfte der Industriearbeitskraft aus, in der Rüstungsindustrie war der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer sogar 55 %. Finnland war bis zum zweiten Weltkrieg ein von der Landwirtschaft geprägtes Land, nach dem Krieg erfolgte eine im Siebenmeilenschritt vorgenommene Industrialisierung, die viele Arbeitskräfte benötigte. Daher waren auch Frauen gefordert, ihren Teil zum Wirtschaftsfortschritt beizutragen. Die Löhne waren nicht fürstlich, weswegen in den meisten Familien es klar war, dass beide arbeiten mussten. Finnische Frauen finden es auch ganz normal, arbeiten zu gehen, wenn sie von den Verhältnissen in anderen Ländern erfahren, sind sie oft ganz entsetzt, genauso wie finnische Unternehmen, die auf keinen Fall ihre Frauen auf Dauer verlieren wollen.

Bereits 1973 wurden die ersten gesetzlichen Regelungen geschaffen, um ein Recht aller Familien auf einen Kinderbetreuungsplatz zu ermöglichen. Seit 1985 ist dieses Recht im Gesetz festgeschrieben, seit 1996 erfasst das Gesetz alle noch nicht schulpflichtigen Kinder. In der Praxis bedeutet es, dass jeder innerhalb von zwei Wochen von seiner Wohnsitzgemeinde einen Betreuungsplatz erhält, wenn dieser benötigt wird, weil zum Beispiel der bisher zuhause arbeitende Elternteil eine Arbeitsstelle gefunden hat. Wenn man es so eilig hat, kann es natürlich passieren, dass man einen Betreuungsplatz am anderen Ende der Stadt zugewiesen bekommt, in der Regel sollte man vorher den Wiedereinstieg von langer Hand planen, so dass es dann der Kindergarten um die Ecke wird.

Natürlich ist es auch in Finnland verboten, Frauen beim Einstellungsgespräch nach ihren Familiengründungsplänen zu befragen. Jedoch habe ich als Frau erlebt, dass in Deutschland und Österreich dieses Gesetz zu 90% mit Füßen getreten worden ist (auf jeden Fall zwischen 1995 und 2006), in Finnland bin ich dieses nie gefragt worden. Meine finnischen Studentinnen haben mir erzählt, dass auch sie ab und zu gefragt worden sind, allerdings ist es eher die Ausnahme. Aus Deutschland und Österreich erinnere ich mich an ein äußerst unangenehmes Vorgehen, dass bei Bewerbungsgesprächen mit zwei Interviewern „zufällig“ der Mann gerade das Zimmer verlassen musste und mich dann die Frau nach den Familienplänen befragte. So hätte bei einem Gerichtsverfahren ein Wort gegen das andere gestanden, selbstverständlich hätte die Dame behauptet, dass diese Frage nie gefallen sei und ich mir alles nur eingebildet hätte. Von solchen Taktiken habe ich hier in Finnland noch nie gehört. Hier ist es eher so, dass junge Frauen überdurchschnittlich viel Zeitverträge erhalten, immer noch unangenehm genug, aber nichtsdestotrotz gibt man ihnen eine Chance!

Das Elterngeld in Finnland hat sich auch schon immer prozentmäßig nach dem vorherigen Gehalt bemessen, anders als in Mitteleuropa, wo es lange Phasen gab, in denen die Frau eher eine Art „Gebärpauschale“ pro Monat erhalten hat, die zu klein war, um davon zu leben und jedoch so viel, dass die einkommenschwächsten Frauen sich dadurch ermutigt fühlten, (noch mehr) Kinder in die Welt zu setzen. Die Auswirkungen sind ganz klar: in Finnland kann eine Frau ein Kind auch dann in die Welt setzen, wenn der Erzeuger sich auf die Schnelle verabschiedet und die Frau finanziell sitzen bleiben lässt. Außerdem sind die psychologischen Auswirkungen von solchen Pauschalen nicht zu unterschätzen: so bekam eine Managerin im Monat genau dasselbe Geld wie eine Hilfsarbeiterin. In meinem Kurs für Arbeitslose in Österreich hörte ich als Trainerin von einer jungen Frau, dass sie so schnell wie möglich Mutter werden wollte, um endlich an eigenes Geld zu kommen, es sei doch egal, was man vorher gemacht hätte, es lohne sich also doch gar nicht, sich um eine gute Ausbildung oder einen guten Arbeitsplatz zu kümmern, da alle am Ende dieselbe Summe an Mutterschaftsgeld erhalten würden.
Mutterschaftsgeld wird in Finnland derzeit 105 Tage lang gezahlt, Elterngeld (also unabhängig ob von der Mutter oder vom Vater in Anspruch genommen) 158 Tage, in einer Höhe von circa 70% des vorherigen Gehaltes. Außerdem sind noch zusätzliche 54 Tage nur für den Vater (!) vorgesehen. So entwickeln auch die Väter ein inniges Verhältnis zu den Kindern. Die finnischen Grünen haben ein Modell vorgeschlagen, wie es in Island praktiziert wird, es wird das 6+6+6-Modell genannt. Sechs Monate für die Mutter, sechs Monate für den Vater und sechs Monate individuell aufteilbar.

Anders als beim Nachbar Norwegen gibt es in Finnland dagegen keine Frauenquote bei der Besetzung der Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen (40% der Mandate müssen dort von Frauen besetzt sein, und es funktioniert gut). Man setzt hier eher auf freiwillige Verpflichtungen, die aber natürlich auf einem ganz anderen Niveau ansetzen als dieselben in Ländern wie Deutschland. Sonst wäre es nie dazu gekommen, dass Finnland die folgenden Weltrekorde aufstellte:

  • erste Verteidigungsministerin Europas (Elisabeth Rehn, 1990-1995), in ihre Zeit als Verteidigungsministerin fällt auch die Zulassung von Frauen für den finnischen Wehrdienst
  • die erste Präsidentin der Welt, die in ihrem Lebenslauf auch Vorsitzende der nationalen Vereinigung der Schwulen und Lesben gewesen war und erst nach Anbruch ihrer ersten Amtszeit ihren langjährigen Lebenspartner heiratete: Tarja Halonen (2000-2012).
  • das erste kostenlose Schulessen der Welt wurde schon 1948 in Finnland serviert, eine Tradition, die sich bis heute gehalten hat
  • die sowohl kleinste Mütter- als auch kleinste Säuglingssterblichkeitsrate der Welt. Alle Frauen, die die vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen für werdende Mütter absolvieren, schenkt der finnische Staat eine sogenannte Babybox, eine Erstlingsausstattung für Babys. Davon profitieren alle. Außerdem gibt es ein vorbildliches Netz an speziellen Gesundheitsstellen für Babys und Kleinkinder und eine hohe Durchimpfungsrate, die die Massenausbreitung von gefährlichen Krankheiten verhindert.

Viele Finninnen merken erst im Ausland, wie gut sie es doch in Finnland haben. Gerade bei jungen Frauen sieht man hier, dass die komplette Gleichberechtigung oft als eine Selbstverständlichkeit angenommen wird. Erst nach dem Umzug nach Mitteleuropa merkt die Frau, dass es auch ganz anders sein kann. Aber vielleicht können die finnischen Frauen in Mitteleuropa ja als Botschafterinnen der Gleichberechtigung ihren Schwestern dort zeigen, dass von der Gleichberechtigung alle profitieren.

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