Diesen Satz habe ich schon mehrfach als Rückmeldung von Gästen gehört und es macht mich jedes Mal glücklich, wenn ich es höre. Aber was macht eine Stadtführung zu der besten? Das interessiert nicht nur einen Gast, sondern sicherlich auch angehende Stadtführer. Natürlich sind die Geschmäcker unterschiedlich. Um es naturwissenschaftlich auszudrücken: Den Doppelblindtest kann man mit Stadtführungen nicht machen, man hört und sieht immer, wer gerade erklärt, deswegen bleibt eine Beurteilung immer subjektiv. Und wer möchte sich zehn Führungen von Helsinki hintereinander anhören, um zu vergleichen? Natürlich wollen viele gut sein, aber es gehört eine ganze Menge dazu. So wie bei den Anlegestellen in Helsinki gibt es dann auch Bentley-, Mercedes-, Volkswagen- und leider auch Lada-Stadtführer. Wenn ich den Gästekommentaren genau zuhöre, dann geht es um viele Elemente:
- man soll sich gut betreut und aufgehoben fühlen, dazu gehört eine nette Begrüßung mit einem Lächeln
- die Führung sollte eine klare Struktur haben: man sollte sich und den Busfahrer zu Beginn den Gästen vorstellen (und dabei ihnen zugewandt sein) und die wichtigsten Sicherheitsinformationen geben (ja, es ist Pflicht, sich in Finnland im Bus anzuschnallen)
- die Führung sollte klar sein, in einem Bus mit 45 Gästen sollten die wichtigsten Informationen (wo man sich wann wieder trifft) dreimal wiederholt werden (das erste Mal hat so und so zufällig nicht zugehört, und beim dritten Mal kann man bestätigt bekommen, dass man beim zweiten Mal die Uhrzeit richtig gehört hat)
- die Führung soll unterhaltend sein, wer will sich schon langweilen
sie soll aber auch informativ sein, im besten Fall kombiniert man Unterhaltung und Information zu Infotainment, die Zeit soll wie im Flug vergehen - zu viele Zahlen erschlagen, keiner kann und will sich 50 Daten merken, lieber weniger, dafür aber die wirklich wichtigen (bei mir lernen alle die drei wichtigsten Zahlen der Geschichte Finnlands)
- Humor und eine optimistische Weltsicht können nicht schaden, genauso wenig wie – in weiser Vorausschau – Infos über die nächsten Wohlfühlpausen (leider gibt es in diesem Bereich in Helsinki gerade an Sonntagen noch Raum für Entwicklung nach oben; wir arbeiten dran, aber die Stadt Helsinki verweist immer wieder darauf, wie teuer neue öffentliche Toiletten seien)
- die Führung sollte auf die Zielgruppe abgestimmt sein, falls eine spezielle Zielgruppe zu identifizieren ist (der Kirchenchor auf Ausflug bekommt natürlich mehr Informationen zum religiösen Leben Finnlands als der Gewerkschaftsbus)
- der rote Faden ist wichtiger als unnütze Details
- jeder liebt Geschichten – sie sollten aber in einem Sachzusammenhang mit dem Thema stehen
- deutschsprachige Gäste wollen Fakten und Sachinformationen
- man sollte den Gast NIE unterschätzen, in meinem Bus hatte ich von Komponisten (die eine genaue Interpretation des Sibelius-Denkmals für sich hatten) bis zu Geschichtsexperten (die alle von der Sowjetunion annektierten größeren finnischen Inseln mit Namen kannten: Lavansaari, Seiskari, Suursaari, Tytärsaari) schon jede Menge Spezialisten
- man sollte Fragen beantworten können und auch dann mal zugeben können, dass man nicht alles weiß („aus welcher Metalllegierung ist die Orgel in der Felsenkirche?“ kann ich leider bis heute nicht beantworten, weil es der Organist der Kirche auch nicht weiß)
- Berufserfahrung als Lehrer ist eine gute Begleiterscheinung: einerseits ist man es gewohnt, laut und deutlich zu reden und natürlich auch erklären zu können, andererseits hat man auch im Sommer die Zeit für diese Nebentätigkeit
- als sehr positiv empfinde ich es, dass ich nicht das ganze Jahr über diese Tätigkeit ausübe, daher kommt nie eine „Schallplattenmentalität“ auf, im Scherz sage ich oft „wenn ich genug von den Studenten habe, dann kommen die Touristen, und wenn ich genug von den Touristen habe, dann kommen wieder die Studenten“. Routine ist Gift für eine lebendige Führung, das kann jeder erleben, der Führungen in Touristenhochburgen durchstehen muss, die das ganze Jahr über Saison haben
- ein großer Vorteil ist es auch, wenn man das Bordleben auf Kreuzfahrtschiffen kennt (ca. 90% meiner Gäste sind Kreuzfahrtgäste). Zum Glück durfte ich zum Beispiel an Bord sowohl als Teil des Reiseleiterteams als auch als Lektorin arbeiten. Mein Arbeitgeber, die zweitgrößte Fachhochschule des Landes, erlaubt ihren Lektoren alle fünf Berufsjahre ein Berufspraktikum, wo wir das Berufsleben so kennenlernen können, wie unsere Studenten es erleben, nachdem sie ihren Abschluss gemacht haben. Da man an meiner Fachhochschule auch Tourismus studieren kann, kam es meinen Studenten zugute, dass ich ihnen zum Beispiel die perfekte Ausflugsorganisation aus Sicht der Kreuzfahrtgesellschaft erklären kann – meine Vorlesung darüber wurde auf Video aufgenommen und stand danach jedem Kurs zur Verfügung. So ein „Lehrerpraktikum“ ist für die Weiterbildung von Lehrkräften eine ganze tolle Sache, wie wäre es mit der Einführung in Deutschland? Finnland ist halt doch ein Vorreiter im Bildungsbereich…
- man sollte sich aber auch darüber klar sein, dass man als Stadtführer in einem Dienstleistungsberuf arbeitet und damit wird es immer irgendwann irgendwen geben, dem das nicht gefällt, was man erzählt. So wurde ich zum Beispiel schon dafür kritisiert, zu linke Weltsicht zu präsentieren, als ich die Rolle der Gleichberechtigung in den nordischen Ländern (siehe mein Artikel Es ist wie ein Lottogewinn, als Mädchen in Finnland geboren zu werden) erklärte. Man kann es also nicht wirklich allen Recht machen. Es wird jeden Sommer mindestens eine Person geben, die morgens mit dem linken Fuß aufgestanden ist und der man gerade im Weg ist. Dann sollte man aber dafür sorgen, dass die anderen 44 Gäste im Bus nicht darunter zu leiden haben.
Muttersprachler oder nicht?

Dieses Mal zur Abwechslung mal nicht in Helsinki, sondern selbst als Gast unterwegs… Wo bin ich?
Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Sehr viele Gäste, wahrscheinlich die Mehrheit, schätzen Deutsch als Muttersprache. Ich spüre regelrecht die Welle an Erleichterung, wenn ich zum Mikrofon greife und der ganze Bus merkt, dass jetzt lupenreines Bundesdeutsch, deutlich, klar, laut und ohne Nuscheln kommt. Deswegen sind Deutsche, die bereits viele Jahre im Ausland gewohnt haben, oft die beliebtesten Guides. Sie kennen genau die Unterschiede zwischen Deutschland und ihrem Gastland und können genaue Vergleiche anstellen. Dasselbe kann aber auch eine Finnin leisten, die längere Zeit in Deutschland gewohnt hat und dann wieder zurückgekehrt ist. Für den einheimischen Guide spricht, dass Sie einen bestimmten Akzent kennenlernen und zum Beispiel später identifizieren können. Und Sie bekommen das Gefühl, einen „echten“ Einheimischen kennengelernt zu haben. Aber was ist schon „echt“? Wenn es danach geht, kommen nur Samen als Stadtführer in Frage – vor den Finnen wohnten auch in Südfinnland Samen (und woher man das weiß, erkläre ich Ihnen dann, wenn Sie vorbei kommen).
Keiner kann auf fünfzig verschiedene Dinge gleichzeitig achten. Ich habe für mich ein ganz einfaches Rezept gefunden, um die beste Stadtführerin von Helsinki zu sein: ich mache die Stadtführung genau so, wie ich gerne eine hätte, wenn ich in einer fremden Stadt bin. Wenn ich von meinen Gästen dann höre, dass ich ihrer Meinung nach „die beste Stadtführerin von Helsinki“ bin, dann kann das Rezept dafür nicht so schlecht sein.
Claudia Jeltsch hat im Sommer 2018 meinen Sohn und mich über die Insel Suomenlinna bei Helsinki geführt. Dabei hat sie uns von der Geschichte der Insel sowie Finlands begeistert. Sprich, wir waren beeindruckt und hatten einen wundervolle und informative Tour über diese schöne Insel und ihre Sehenswürdigkeiten. Ich empfehle daher Claudia Jeltsch als sachkundige und didaktisch sehr gute Reiseführerin für andere Erwachsene und Jugendliche weiter.