Gestern am 24. November 2022 hatte ich die einmalige Möglichkeit, das Finnische Parlament kennenzulernen. Seit dem letzten Mal ist es nämlich schon eine Weile her – da war ich damals noch als Dolmetscherin dabei, es muss über 15 Jahre her sein. Das Ganze dieses Mal wesentlich entspannter in sehr kleiner, intimer Runde. Im Gebäude herumgeführt und fachkundig geführt wurde unsere kleine Runde von Senni Martikainen, persönlicher Assistentin von Saara Hyrkkö, die als Abgeordnete der Grünen für die Hauptstadtregion 2019 ins Parlament gewählt wurde. Senni war 2019 selbst Kandidatin, hatte es aber leider nicht geschafft – aber was nicht ist, das kann noch werden. Außerdem ist sie Tochter meines Cousins und damit ist sie genauso wie ich verwandt mit dem ehemaligen Präsidenten Urho Kekkonen, dessen Büste im hohen Haus natürlich nicht fehlen darf (im Raum mit allen Büsten von Personen, die sowohl Präsidenten als auch Parlamentspräsidenten waren, siehe Foto). Mit dabei von der Partie waren noch Sennis Tante und meine ehemalige Mitbewohnerin im Studentenwohnheim, als wir beide 1990 bis 1991 an der Universität Helsinki als Austauschstudierende aktiv waren. Sie ist – noch früher als ich – in Finnland hängen geblieben und hat den besten Freund meines Cousins geheiratet – mal wieder so eine onlyinFinland-Geschichte.

Das Parlamentsgebäude sollte ursprünglich gar nicht an die Stelle gebaut werden, wo es heute steht. In Diskussion war Tähtitorninmäki – ein Bereich weiter südlich, direkt neben dem großen Park Kaivopuisto. Die heutige Stelle galt damals als zu weit vom Zentrum entfernt! Das Gebäude fällt durch seine 14 Granitsäulen auf, der rote Granit kam aus Kalvola in Häme (wer mehr über Granit lesen will, dazu habe ich schon einen Blog geschrieben: ). Architekt war Johan Sigfrid Sirén (1889-1961), der sich um jedes Detail kümmerte. Er zusammen mit seinem Büro hatte die Ausschreibung 1924 gewonnen. Sein Sohn Heikki Sirén (1918-2013) wurde dann übrigens auch ein berühmter Architekt, zusammen mit seiner Frau Kaija, die ebenfalls Architektin war, entwarf er Gebäude wie das Ympyrä-Talo in Hakaniemi (das runde Gebäude) oder auch das Brucknerhaus in Linz. Das Gebäude im modernen Klassizismus ist samt seiner Inneneinrichtung ein Gesamtkunstwerk. Der Grundriss ist ein symmetrisches und quadratisches Gebäude mit dem runden Sitzungssaal in der Mitte. Der Sitzungssaal hat eine Kuppel mit einer Dachlaterne, durch die natürliches Licht in den Saal fällt. Die Kuppel hat eine Auskleidung aus Akustikplatten, die aus Zuckerrohrmasse hergestellt wurden.

Eingangshalle des Parlaments, der Eingang über die Stufen wird nur noch bei sehr speziellen diplomatischen Gästen genutzt.
Im Sitzungssaal gibt es Platz für die 200 Abgeordneten. 1934 wurde das Gebäude fertiggestellt.

Blick in den Sitzungssaal von der Seite


Eine Besonderheit: Im Gebäude gab es nach der Fertigstellung drei Räume, die den weiblichen Abgeordneten als Rückzugsräume reserviert waren. Einer von diesen Räumen ist weiterhin in seiner ursprünglichen Funktion in Verwendung. Schon bei der Planung war das wichtig. Finnland ist schließlich das erste Land in Europa und das zweite weltweit, in dem Frauen nicht nur ein aktives, sondern auch ein passives Wahlrecht erhielten, ab 1906. Ab 1907 gab es dann auch 19 Frauen im finnischen Parlament, das macht 19,5% der Abgeordneten. In den Wahlen 2019 wurden 97 Frauen ins Parlament gewählt (47%).


Dazu gehörte Hedvig Gebhard, die als Journalistin Mitbegründerin der finnischen Frauenunion war – und deren Tochter Maiju Gebhard die nützlichste Erfindung Finnlands machte, über die es natürlich schon einen Blog gegeben hat: https://claudiashelsinki.com/2021/05/16/finnlands-praktischte-erfindung-aller-zeiten-der-abtropfschrank/
Auch mit dabei war Aili Nissinen aus Iisalmi. Sie war Lehrerin und zusammen mit Lucina Hagman, mit der sie befreundet war, für die „Frauensache“ im Parlament, wie es damals genannt wurde. Sie wollte vor allem Schulen für beide Geschlechter haben, bis dahin hatte es vor allem getrennte Schulen gegeben, an denen die Jungen für das Berufsleben vorbereitet, die Mädchen aber vor allem für ihre zukünftige Rolle als Hausfrau und Mutter ausgebildet wurden, also nur Bildung in der „Light-Version“ genossen.

Der legendäre Pater Noster im Parlament. Er darf nur von Parlamentsabgeordneten benutzt werden – der Erzählung danach baute man diese Art von Fahrstuhl, damit bei einer wichtigen Abstimmung keiner den Aufzug blockieren konnte und damit verhindern hätte können, dass Gegner nicht rechtzeitig zur Abstimmung erscheinen können.
Weltweit steht Finnland mit diesen Zahlen an sechster Stelle und wird nur von Ruanda (61,3%), Kuba (53,2%), Bolivien (53,1%), Mexiko (48,2%) und ganz knapp von Schweden (47,3%) geschlagen. Weltweit beträgt der durchschnittliche Frauenanteil in allen Parlamenten 24,3% (Quelle für alle Zahlen ist die Seite des finnischen Parlaments: https://www.eduskunta.fi/FI/naineduskuntatoimii/kirjasto/aineistot/yhteiskunta/historia/naisten-aanioikeus-110-vuotta/Sivut/naiset-kansanedustajina.aspx)
Die erste Ministerin hatte Finnland mit Miina Sillanpää 1926-1927. Die erste Verteidigungsministerin Elisabeth Rehn 1990-1995 war dann auch gleichzeitig die erste in Europa, nur in Indien war Indira Gandhi früher dran.
Besonders schön ist auch die Kunst im Haus. Die Statuen im Sitzungssaal sind von Wäinö Aaltonen und tragen als Gesamtheit den Titel „Arbeit und Zukunft“. Die Frau in der Mitte mit dem Titel „Zukunft“ hält ein kleines Kind auf dem Arm. Sie wendet sich schon vom Betrachter ab, ist schon ein Teil der Vergangenheit. Das Kind auf ihrem Arm – das die Zukunft verkörpert – ist die einzige Person, die den Betrachter direkt anschaut. Es soll die Abgeordneten darauf hinweisen, für wen sie hier ihre Arbeit machen.

Während der Plenarsitzungen ist das Haus übrigens für Zuhörerinnen geöffnet, dann allerdings ohne Erläuterungen. Die Plenarsitzungen finden zwischen Februar und Juni und zwischen September und Dezember jeweils dienstags und mittwochs um 14, donnerstags um 16 und freitags um 13 Uhr statt. Anmeldung ist nicht vonnöten, allerdings gibt es natürlich für alle Besucher*innen eine Sicherheitskontrolle, wie am Flughafen.

Wer eine Führung – nur außerhalb der Plenarsitzungszeiten – erleben möchte, der muss sich anmelden, über ein elektronisches System: www.lyyti.fi/e/eduskunta/ Es gibt übrigens auch eine Parlamentsführung auf Deutsch, dafür lohnt es sich, nach meiner Kollegin Sirpa Kajarinne zu fragen, sie ist meines Wissens nach die einzige, die es auf Deutsch macht (wir sind doppelte Kolleginnen, unterrichten an derselben Fachhochschule, dasselbe Fach und auch noch Fremdenführerkolleginnen). Schöne Grüße von mir!
Wenn der Abgeordnete des eigenen Wahlkreises einlädt, dann könnte man auch Glück haben, dass man eine Einladung erhält.
Das Parlament verfügt auch über eine eigene Bibliothek, die allen Bürger*innen offen steht.
Fotos dürfen nur in den allgemeinen Räumlichkeiten gemacht werden, nicht in der Kantine des hohen Hauses. Deswegen kann ich zwar behaupten, dass der ehemalige Ministerpräsident Matti Vanhanen am Nebentisch von mir seinen Pfannkuchen verspeist hat, aber ich habe kein Beweisfoto davon! Wir hatten nämlich Donnerstag, und da gibt es seit ewigen Zeiten immer Erbsensuppe und Pfannkuchen, sowohl beim finnischen Militär, wie auch in der Parlamentskantine und übrigens auch an allen Mensen.

