Aus den Suchbegriffen, mit denen mein Blog gefunden wird, konnte ich in letzer Zeit leider auch entnehmen, dass es eine kleine Gruppe gibt, die Erkundigungen einzieht, ob man in Finnland ungestört auf ewig ungeimpft weiterleben könnte.
So passierte auch einer privaten Facebook-Gruppen von in Finnland ansässigen Deutschen, in der ich selbst Mitglied bin, dass sich dort ein neues Mitglied auffallend genau über Coronamaßnahmen erkundigte und schließlich dann mit seinem Vorhaben rausrückte: Er wolle nach Finnland ziehen, weil es hier kaum Maßnahmen gäbe, z.B. keine verpflichtende Maskenpflicht, nur eine „strenge Empfehlung“ und in Zeiten mit wenig Inzidenz eine „Empfehlung“. Sehr schnell hatten wir den Herr dann aber auch unserer Gruppe herauskomplimentiert. Immerhin war er sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst und hatte schon gegoogelt, dass das Finnischlernen kein Sonntagsspaziergang sein würde und die Idee entwickelt, deswegen auf Schwedisch auszuweichen und auf die Åland-Inseln auszuwandern. Soweit reichte das Googlen aber nicht, dass er auch herausgefunden hätte, dass der Erwerb von Immobilien und auch das Ausüben einer selbständigen Tätigkeit in der Regel dort nur gelingt, wenn man dort bereits bereit fünf Jahre gelebt hat und das sogenannte Heimatrecht erworben hat (für den Erwerb von Immobilien kann man um eine Ausnahme ansuchen).

Eine Sache verstand der Herr nämlich nicht: Die Tatsache, dass es danach aussieht, dass alles locker wäre, heißt nicht, dass man alles locker sehen würde.
Finnland ist absolut kein Land, in dem man in seiner eigenen Schurbler-Blase leben könnte. Wer einen Arzt haben will, der anders als schulmedizinisch behandelt, der muss ihn sich zu 100% selbst bezahlen, im normalen Medizinbetrieb findet man ausschließlich Schulmediziner. In der Apotheke gibt es keine Homöopathie, was an sich sogar gut ist, weil es ja keine Beweise für deren Wirksamkeit gibt. Aber leider nicht mal Phytotherapie, so sucht man vergeblich nach pflanzlichen Medikamenten, was ich etwas übertrieben und schade finde, denn deren Wirksamkeit ist ja in vielen Fällen erwiesen. Wer also eingeschworener Anthroposoph oder Naturheilkundler ist, der hat es in diesem Land ziemlich schwer. Der Beruf des Heilpraktikers existiert im Übrigen überhaupt nicht.

Hier gibt es bei der Hebamme keine Globuli-Empfehlungen, bei den Mutter-Kind-Untersuchungen in der nationalen Institution „Neuvola“ (siehe mein Blog über unübersetzbare Wörter im Finnischen: https://claudiashelsinki.com/2019/11/02/unueber-setzbare-woerter/ ) gibt es kein Gesundheitspersonal, das von Kinderimpfungen abraten würde.
Hier im Folgenden ein paar Impfquoten-Zahlen zum Vergleichen. Leicht zu erkennen, dass wir für so gut wie alle Kinderkrankheiten in Finnland höhere Quoten erreichen, oft um 10% höhere, manchmals sogar eine um 20% höhere Impfquote erreichen als in Deutschland. Während man die Zahlen für Finnland innerhalb von fünf Minuten finden kann, muss man im Dokument des RKI ziemlich lange suchen, um die Daten zu finden. Warum gibt es keine interaktive Grafik wie beim THL von Finnland, wo jeder die Daten mit einem Klick findet?
in Finnland | in Deutschland | |
Rotaviren | 92,9% (2015) | 68,3% (2015) |
Pneumokokken (PCV) | 96,6 (Geburtsjahr 2018) | 72,5% (2018 geborene Kinder im Alter von 2 Jahren) |
Polio | siehe unten, mit in der 5fach-Impfung enthalten | 88,1% für Polio (Geburtsjahr 2018) |
Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Polio, Haemophilus influenssa type b (DtaP/IPV Ipv-hip), sog. 5fach-Impfung; 1 Dose erhalten | 98,4% (Geburtsjahr 2018) | 96,4% (Geburtsjahr 2018, jedoch nur für die Dreifachimpfung Diphterie, Tetanus, Keuchhusten) |
Masern, Mumps und Röteln (MPR); 2 Dosen erhalten | 92,2% (Geburtsjahr 2013) | 75,6% (Geburtsjahr 2018) |
Variccella, 1 Dose erhalten | 83,3% (Geburtsjahr 2018) | 79,5% (Geburtsjahr 2018) |
Die finnischen Zahlen kommen alle von den Seiten des „finnischen RKI“s, das heißt von THL:
https://www.thl.fi/roko/vaccreg/atlas/public/atlas-en.html?show=infantbc
Die deutschen Zahlen sind entweder vom RKI (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/49_21.pdf?__blob=publicationFile) oder aus: https://link.springer.com/article/10.1007/s15014-019-1827-x

Bei der Corona-Impfung haben wir (Stand 26.12.21, Zahlen entnommen aus Helsingin Sanomat) 77,3% (DE: 73,2; A:72,8; CH:68,3%) mit einer Impfung, 73,6% mit zwei Impfungen (DE: 70,2%; A= 70,8%; CH: 66,6%) und 17,3% (DE: 35,6%; A:39,2%, CH:20,6%) mit drei Impfungen. Diese Zahlen waren auch schon vorherzusagen, als man sich nach der Impfwilligkeit im Voraus erkundigt hatte, auch in diesem Blog habe ich darauf bereits hingewiesen: https://claudiashelsinki.com/2021/02/14/wer-laesst-sich-impfen-ein-vergleich-zwischen-finnland-deutschland-oesterreich-und-der-schweiz/.
Der größte Unterschied liegt also bei der Menge von Menschen, die überhaupt willig sind, sich impfen zu lassen – aber leider hingt Finnland bei der Boosterimpfung hinterher. Das nicht, weil sich keiner impfen lassen wollte, sondern weil die offiziellen Stellen viel zu spät die Drittimpfung für alle auf dem Plan gesetzt haben.
Quintessenz: Finnland ist kein Land für Impfunwillige. Und das sollte es auch nicht werden. Wer sich und seine Kinder – egal ob es um Corona oder Kinderkrankheiten geht – nicht impfen lassen möchte, dem empfehle ich, zuhause in Mitteleuropa zu bleiben, dort gibt es die meisten Gleichgesinnten.

Liebe Claudia,
hyvää joulua! und toll, wie viele Zahlen du recherchiert hast, um die Unterschiede aufzuzeigen. Danke für deine klare Haltung! LG, Tarja