So betitelte die größte finnische Zeitung Helsingin Sanomat die überraschende Nachricht, dass die Skispringlegende Matti Nykänen in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar gestorben ist.
Als ich am 4. Februar morgens das Radio anmachte, lief Claptons „Tears in Heaven“ und die Kommentatoren der Morgenshow widmeten das Stück Matti. Es folgte ein Telefongespräch mit einem guten Freund von Matti, der sich an die letzten Treffen und Telefonate mit ihm erinnerte. Es schien unglaublich, eine finnische Legende ging im Alter von 55 Jahren von uns.
Was machte Matti Nykänen so besonders für Finnland, außer dass er natürlich Finnlands erfolgreichster Skispringer war und darüber hinaus der erfolgreichste Skispringer aller Zeiten?
Er war der finnische Ikarus, weil die Flüge von Absprungschanze ihm gelangen, was aber danach kam, weniger. Er hörte auf schlechte Ratgeber und vor allem zu viel auf den schlechtesten Ratgeber von allen, den Alkohol. Im Alkoholrausch beging er Taten, an die er sich nachher nicht mehr erinnerte, und die ihn bis ins Gefängnis brachten.
Er war der finnische Phoenix, weil er sich immer wieder selbst neu erfand und aus dem Schlamassel herausholte: aus Matti dem Skispringer wurde Matti der Sänger, und sogar Matti der Stripper (obwohl er diese Auftritte später bereut hat), Matti, der beim Seniorenspringen (Veteranenweltmeistertitel 2008) noch einmal alles wissen wollte und schließlich Matti, der sein Geld mit dem Exklusivverkauf seiner Eskapaden verdiente. Immer wieder hofften wir mit ihm, dass das jetzige Comeback ihm gelingen würde, genau wie die gerade begonnene Liebesgeschichte oder Ehe, von denen es dann sechs in Reihe gab, mit fünf Ehefrauen (eine davon wollte es zweimal wissen). Sein Auf und Ab beschrieb er selbst in seiner Biografie als „Grüße aus der Hölle“.
Er war der finnische Donald Duck, weil seine Geschichten sich mindestens so gut verkauften wie die Donald-Duck-Hefte am Kiosk. Die Regenbogenpresse wusste, dass eine Titelgeschichte mit ihm die Auflage erhöhte und er war immer wieder eine gute Titelgeschichte wert. Obwohl wir schon im Voraus wussten, was uns erwartete, kauften wir dennoch immer wieder seine Geschichte, seine Saufeskapaden waren genauso hervor sehbar wie die erneuten Versuche Donalds, aus der Abhängigkeit von Dagobert zu entkommen.
Die Finnen widmeten ihm noch während seiner aktiven Zeit 1988 eine eigene Briefmarke, die zur bis dahin meistverkauften Briefmarke der finnischen Post wurde. Das finnische Fernsehen war dabei, um in Jyväskylä, Mattis Heimatstadt, die Schlangen vor dem Postamt am Erstausgabetag zu filmen, viele wollten sich Ersttagsbriefe vom erfolgreichsten Sohn der Stadt sichern. Hier der Film dazu:
https://yle.fi/aihe/artikkeli/2008/11/19/postimerkki-matti-nykasesta
Dabei war es weltweit nicht die erste Briefmarke, auf der Matti zu sehen war, im Film ist das Interview mit einem Ingenieur zu sehen, der sich erinnert, auf einer Reise in Moskau 1984 eine Briefmarkenserie von Nordkorea gesehen zu haben, auf der der Sieger von Sarajewo zu sehen war! Damit ist Nordkorea wahrscheinlich der erste Staat weltweit, der Matti auf einer Briefmarke verewigt hat (falls jemand noch eine frühere Ausgabe kennt, bitte mir unbedingt Bescheid geben!), die Goldene von Sarajewo auf der Großschanze war Mattis erste Goldmedaille in olympischen Spielen, in Sarajewo gab es noch die silberne auf der Normalschanze dazu, es folgten drei weitere Goldmedaillen bei den Spielen von Calgary 1988.
Ebenso wurde in Jyväskylä eine Skischanze nach ihm benannt. 2006 wurde ihm ein eigener Film gewidmet, der zum meistgesehensten Kinofilm des Jahres wurde.
In der finnischen Geschichte gibt es nur zwei Sportler, die sowohl eine goldene Olympiamedialle gewonnen haben als auch eine goldene Schallplatte: Tapio Rautavaara (1948 im Speerwurf) und Matti Nykänen. Beim Vergleich der beiden wird man schnell merken, dass Rautavaara auch noch singen konnte, hier ein Beispiel:
Zitate von Nykänen sind im Finnischen fast zu Sprichwörtern geworden, sie gelten als „Mattismen“ (mattismit): “Elämä on ihmisen parasta aikaa” ist eines davon, es bedeutet: „das Leben ist die beste Zeit des / eines Menschen“, es ist Mattis Carpe Diem. Als letzter Mattismus gilt Mattis Äußerung vom 1.2.2019: ”Itse en ole homo enkä lesbo enkä mitään siltä väliltä. Kaikki käy.” “Ich bin weder Homo noch Lesbe und auch nichts dazwischen. Alles geht.“
Ein anderes Zitat von ihm „Elämä on laiffii” ist legendär geworden, und bedeutet „das Leben ist live“ oder auch einfach “das Leben ist einfach das Leben“ („laifii“ ist im Finnischen ein Lehnwort, es kann „live“ bedeuten oder auch das englische Wort „life“ nachahmen). Das gleichnamige Lied gehörte zum Repertoire seiner Sängerkarriere. Sein Leben ist nun nicht mehr live zu verfolgen. Wir werden ihn vermissen.
Ein Gedanke zu “Der „Ikarus, Phoenix und Donald Duck der finnischen Kultur“ ist tot”