Quo vadis 2024, Finnland?

Zum Beginn von 2024 will ich ein paar nachdenklichere Töne anschlagen, ganz im Sinne der Neujahrsansprache des finnischen Präsidenten Niinistö, der als scheidender Präsident seine letzte Neujahrsansprache hinter sich gebracht hat.

Für Finnland typisch ist die Konsensgesellschaft, in der alle das Gefühl haben sollen, dass sie dazu gehören. Änderungen im Arbeitsleben wurden in der Regel immer im Einvernehmen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften ausverhandelt. So wurde z.B. 2016 ausverhandelt, dass zur Verbesserung der finnischen Wettbewerbsfähigkeit alle mehr arbeiten müssen, es waren am Ende 24 Stunden im Jahr mehr, die jeder arbeiten musste, ohne dafür extra bezahlt zu werden (erzähl so was mal den Franzosen…). Dieses Abkommen wurde zwar fast als Knebelvertrag eingeführt (der damalige Premierminister Sipilä drohte mit Steuererhöhungen, wenn es nicht durchkommt), aber es wurde immerhin zusammen ausverhandelt.

Nun haben wir die Situation, dass die Regierung eine Reihe von Neuerungen und Änderungen durchführen möchte, OHNE mit den Gewerkschaften darüber zu verhandeln (bzw. sie wirft den Gewerkschaften vor, dass sie nicht verhandeln wollen, Vorbedingung der Regierung ist allerdings, dass die Gewerkschaft zu Zugeständnissen bereit sein muss, was diese im Augenblick nicht ist). Wir haben es mit einer Pattsituation zu tun, in der keiner sich bewegt. Ziemlich neu für die bisherige Konsensgesellschaft. Wie viele finden, ziemlich gefährlich. Wenn nämlich einmal der soziale Zusammenhalt bröckelt, dann geht auch noch mehr den Bach herunter.

Die letzte Wahl hat zur Bildung einer konservativen Regierung geführt, die es sich nun zur Aufgabe gemacht hat, zu sparen und Finnland für die Zukunft zu rüsten. So jedenfalls nach eigener Aussage. Geplant ist ein ziemlicher Schreckenskatalog, der die Gewerkschaften auf den Plan gerufen hat. So gab es im Dezember schon einen ausgeweiteten Streik, der alle Bahnen und öffentlichen Verkehrsmittel für einen Tag stilllegte.

Auch soll der erste Krankheitstag auf eigene Kosten verbracht werden. Begründung: In Schweden gibt es das schon länger (man lässt gleichzeitig unerwähnt, in welchen anderen Staaten er nicht gilt). Die Beteiligung an Streiks kann unter bestimmten Umständen als Ordnungswidrigkeit mit einer Strafe von 200 Euro belegt werden. Da kann man sich dann selbst ausrechnen, dass man als Nicht-Jurist keinesfalls in den Gefahrenbereich von solchen Strafen kommen möchte und damit die finnischen Gewerkschaften zahnlose Tiger werden.

Entlassungen sollen noch einfacher als bisher sein. Bisher reichte ein „sachlicher und schwerer Grund“, in Zukunft soll ein „sachlicher Grund“ ausreichen.

Unternehmen, die nicht in Arbeitgeberverbänden organisiert sind, sollen in Zukunft flexible Arbeitsverträge mit den Angestellten auf Einzelebene aushandeln können – ohne Tarifbindung. Wenn die deutschen oder österreichischen Gewerkschaften diesen Katalog lesen würden, dann würde den einen oder anderen der Schlag treffen. Es geht in Richtung amerikanische Verhältnisse.

Hier die jetzt schon bestehenden gesetzlichen Kündigungsfristen, falls im Tarifvertrag nichts anderes vorgesehen ist:  14 Tage, wenn das Arbeitsverhältnis weniger als ein Jahr gedauert hat,

1 Monat, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen einem und vier Jahren gedauert hat,

2 Monate,  wenn das Arbeitsverhältnis zwischen vier und acht Jahren gedauert hat,

4 Monate, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen acht und zwölf Jahren gedauert hat und,

maximal 6 Monate, wenn das Arbeitsverhältnis länger als 12 Jahre gedauert hat.

Wie will man das noch „flexibler“ machen?

Abfindungen wie in Deutschland oder Österreich gibt es übrigens nicht, genauso wenig Sozialpläne. Das Höchste der Gefühle in Finnland ist, dass einem zur Verrentung ein Kaffee ausgeben wird und ein Stück Torte, für alle der Belegschaft. Hat der Arbeitgeber ein wenig mehr Geld, dann gibt es noch ein Abschiedsgeschenk (vor Jahrzehnten gab es noch die sprichwörtlich gewordene „goldene Uhr“, davon ist in letzter Zeit nichts mehr zu hören). Die Steuer bestimmt, dass solche Geschenke allen zustehen müssen, die in die Rente gehen, nur dann sind sie steuerfrei. Bekommt einer mehr als der andere, dann gilt das Geschenk als geldwerte Leistung und unterliegt der Steuer. Wenn nur genug Arbeitsplätze da wären, dann wäre eine Entlassung ja nicht das Schlimmste, da muss man nur in die Schweiz schauen, um zu sehen, wie das funktioniert. Aber leider ist die Arbeitslosenquote weiter gestiegen und betrug im November 2023 7,6%. In einigen Bereichen gibt es in Finnland den viel erwähnten Fachkräftemangel, in anderen nicht. Bei dem von mir etwas besser einsehbaren Tourismusbereich wundert es mich nicht, warum Arbeitgeber in Lappland keine Fachkräfte erhalten. Man hätte gerne Personen, die möglichst vier bis fünf Fremdsprachen sprechen, ist aber nicht bereit, pro Stunde mehr als 15 Euro auszugeben. Da kann ich nur sagen, dass sie weiter träumen dürfen. Ich würde für das Geld auch mit 25 nicht für eine Saisonarbeit nach Lappland ziehen, um Franzosen, Briten und Deutschen beim Anziehen der Winteroveralls behilflich zu sein und sie für die Huskyfahrt einzuweisen, wenn ich gleichzeitig noch Probleme habe, in Rovaniemi überhaupt eine bezahlbare Unterkunft zu finden (weil die Gäste nach Corona jetzt wieder den Airbnb-Markt überschwemmen).

Weitere Maßnahmen, die bereits mit dem 1.1.2024 eingeführt wurden: Der Selbstbehalt bei den Fahrten zur Arbeit wurde von 750 auf 900 Euro angehoben. Ja, du hast richtig gehört: In Finnland kann man die ersten 750 Euro Fahrtkosten nicht absetzen (wahrscheinlich ausgehend von der Grundannahme, dass man ja auch ohne Arbeit die Öffis dann und wann zu privaten Zwecken nutzen würde, ein Teil daher in jedem Fall private Nutzung darstellt). Außerdem werden von der Steuer nur die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel akzeptiert, die Fahrt mit dem Auto ist nur dann abzugsfähig, wenn du pro Tag insgesamt mehr als vier (4, sic!) Stunden dich im öffentlichen Verkehrsmittel befinden würdest oder es überhaupt keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, die dich pünktlich zur Arbeit bringen würden.

Wer in der Stadt Helsinki in der Zone AB lebt (siehe mein Blog https://claudiashelsinki.com/2019/04/28/das-neue-abc-der-oeffis-in-helsinki/), hat bisher circa 50 Euro im Monat für die Öffis ausgegeben (ab 2024 werden es 66,60 Euro), kam daher schon früher nicht in den Genuss, die Kosten für die Arbeitsfahrten von der Steuer abzusetzen. Und auch jetzt nicht: 11 Monate á 66,60 Euro machen genau 732,60 Euro. Wer in der Zone C lebt – so wie ich zum Beispiel – der hat im Monat fast 100 Euro Kosten. Da ein Urlaubsmonat abgezogen wird, hat man auch schon bis jetzt nur 350 Euro absetzen können, in Zukunft werden es also nur 200 Euro sein. Die Pendlerpauschale war schon bisher nach oben gedeckelt (anders als in Deutschland!), bisher konnte man maximal 8400 Euro absetzen, ab dem nächsten Jahr sollen es nur noch 7000 Euro sein.

Da hilft es nur wenig, wenn die Regierung eine kleine Steuererleichterung versprochen hat. Mit der einen Hand gibt man, mit der anderen nimmt man.

Es gibt jedoch auch unter den konservativen Politikern Unterschiede. Manche möchten wie ein Bulldozer ihre konservative Gesinnung durchsetzen, manche sehen die Gefahren einer solchen Politik und gehen lieber mit Samthandschuhen an die Sache heran.

Obwohl der scheidende Präsident Sauli Niinistö der konservativen Sammlungspartei angehört, hat er in seiner Neujahrsrede ganz ähnliche Töne angeschlagen und seine Besorgnis über die Gefahr des bedrohten Zusammenhalts in der finnischen Gesellschaft in die folgenden Worte gekleidet:

„Ich schlage jetzt ein gemeinsames Neujahrsversprechen vor: dass wir uns fair, verständnisvoll, mit Respekt vor der Menschlichkeit und unter Wahrung unserer traditionellen Einigkeit und unserem Vertrauen begegnen werden.“

(„Nyt esitän yhteistä uudenvuodenlupausta: että kohtaamme toinen toisemme reilusti, toista ymmärtäen, ihmisyyttä kunnioittaen ja perinteistä yhteyttämme ja luottamustamme vaalien.);Fettdruck von mir; Text: https://www.presidentti.fi/puheet/tasavallan-presidentti-sauli-niiniston-uudenvuodenpuhe-1-1-2024/

Also kann ich sagen, dass ich mich in allerbester Gesellschaft befinde, wenn ich mir darüber Gedanken mache, dass der traditionelle Zusammenhalt der finnischen Gesellschaft bedroht ist.

Welche Gedanken habt ihr dazu?

Das Foto zum Blog: Matti Porre/Tasavallan presidentin kanslia (Kanzlei des Präsidenten der Republik)

2 Gedanken zu “Quo vadis 2024, Finnland?

  1. ganz so dramatisch sehe ich das jetzt nicht ob du 50€ oder 66€ für ÖPNV nutzt. Die Fahrt vom Airport nach Turku kostet – früh gebucht – noch 5,9-7,9€ – such das mal in Deutschland für 150km?

    Geldwerter Vorteil bei Betriebsfesten: da gibt’s in Deutschland auch eine Grenze von 110€/Person pro Jahr. Fragt sich halt nur, wie solche Feinheiten in Deutschland kontrolliert werden. Bei meinem letzten AG auf der schwäbischen Alb, gab es weder Weihnachtsfeiern noch etwa Sommergrillfest (mit Ausnahme alle Schaltjahre mal), als „Geschenk“ bekam man eine 4Gbyte USB-Stick oder sonstiges Werbematerial nur um die 110€ nicht anzutasten… am HQ in München gab’s Weihnachtsfeiern wo die Gäste ab 20:00 mit 2 Promille bis in den Morgen getanzt haben, Grillfest, Biergarten und natürlich obligatorische der Oktoberfestbesuch. 110€ gelten in Bayern nicht….

    Andererseits spiegeln die fehlende Verabschiedung vom langjährigen Arbeitgeber eben auch die finnische Unterkühlung wider: man grüßt nicht, wenn man morgens zur Türe rein kommt (in DE wird oft von JEDEM die ganze Abteilung abgelaufen und Hände geschüttelt, jedenfalls in Industriebetrieben), Taschentücher kennen die wenigsten und ein Rülpser am Mittagstisch wird als „normal“ empfunden. Den Motor darf man sowohl im Winter als im Sommer laufen lassen solange man im Auto sitzt (natürlich nicht, aber machen alle weil es kein Strafe gibt). Und wenn es im Winter zu heiss wird in der Wohnung, macht man halt das Fenster/Türe auf. Dass die kWh auch in Finnland 30 Zent kostet, wird vergessen oder noch nicht realisiert. (bei minus 20 Grad kostet der Tag heizen eines Hauses schnell mal 40-50€ – der Tag!!)

    Meiner Erfahrung nach sind die Finnen extrem darauf bedacht, alles korrekt zu machen, was Steuern und Staat betrifft. Da herrscht eine regelrechte Angst vor der Obrigkeit. Gesetze werden eingehalten und das erwarten sie auch von den Gästen . Wer mit einem Auto zu lange mit EST, LV, LT, PL, oder gar DE Autokennzeichen rumfährt kriegt garantiert Ärger…. finde ich persönlich nicht ganz so schön für die Vertrauenskultur.

    Einkommensteuer und Subventionen? Ja kein Ehegattensplitting, keine Abfindungen oder gar Steuererleichterugen (ich habe nur 9.7% auf meine Abfindung an Steuern an den deutschen Staat bezahlt, SV-frei!) , das kann man nicht mit DE (85 Mio und 30 Mio Steuerzahler) vergleichen.

    Letztlich bezahlt der Arbeitnehmer mehr während der aktiven Phase und profitiert später als Rentner (ich bin mir nicht sicher ob gedeckelt oder ganz offen, aber IMHO gibt’s 85% vom letzten Netto – das ist sehr viel!

    Lappland: ja das empfinde ich auch Skandal, dass die keine Mitarbeiter finden, weil sie keine ordentliche Löhne bezahlen. Ich bin mir nicht sicher, ob Lappand schon voll in Hand ausländischer Investoren ist (Deutschland weiss ich sicher, USA, China etc.) und die pure Gier nach Maximum Profit gilt. Die Hotelraten in Lappland sind nicht mehr nachzuvollziehen (für einfachste Hütten wird jeder Preis bezahlt), wieso kann man dann nicht Mitarbeiter so bezahlen, dass die auch bleiben?

    Nächstes Thema ist übrigens: Taxifahren (anegblich werden weibliche Gäste belästigt) und das endlose Thema Trinkgeld, welches immer öfter erwartet wird (Friseur, Restaurant, Massage, überall) obwohl es das ja nie gab. Mir ist klar, weshlab manche Finnen, die finnische Kultur den Bach runter gehen sehen und rechts wählen.

    • Du sprichst viele wichtige Themen an, die an sich schon jeweils einen eigenen Blog wert wären: Position Chinas für die Wirtschaft Lapplands (chinesische Investoren durften Hütten auf einem Fjell bauen, das eigentlich frei sein bleiben sollte…) usw. Eine Nachfrage zu deinem Kommentar: „profitiert später als Rentner“- ist das auf Finnland bezogen? Ehrlich gesagt, was ist da profitieren, wenn selbst Kleinstrenten besteuert werden? Habe mir gerade den Spaß gemacht und in den finnischen Steuerrechner hereingegeben, wie viel man an den finnischen Staat als Rentner zahlt. Es geht los bei 13.700 Euro, da will er 0,5% haben, klingt noch ganz harmlos, aber dann geht es los mit der Progression, bei 14.000 sind es 1,5% (154 Euro), in DE sind es 83 Euro, bei 15.000 Euro sind es schon 3,5% und bei 20.000 Euro sind es 12%, also 2.380 Euro (in DE bei einem bayrischen Rechner fand ich 1077 Euro Steuern bei dem Betrag in Deutschland). Bei 20.000 Euro Bruttorente habe ich in FIN gerade mal 1666,66 Euro im Monat zum Leben. Davon kannst du nur leben, wenn du dann keine Miete mehr zahlen musst. Da tut es ganz schön weh, wenn man davon dann auch noch fast 200 Euro dem Staat geben muss. Zumal es keine steuerliche Absetzbarkeit von medizinische notwendigen Ausgaben gibt, was sich gerade in dem Alter enorm auswirken kann. Die 18% höheren Lebenshaltungskosten in FIN habe ich hier noch gar nicht berücksichtigt. Heutzutage können die jungen Leute Vergleiche anstellen, Braindrain ist schon eine Tatsache in Finnland. Die konservativen Hardliner sollten sich wirklich überlegen, ob sie den Bogen der Vertrauenskultur nicht überspannen, sonst gehen noch mehr Leute weg.

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