Leben und Tod des ältesten europäischen Steinadlers

Ein finnischer Adler hat 2019 es zu Berühmtheit gebracht (Claudias Helsinki berichtete im Mai 2019: Der älteste Adler Europas ist finnisch!). In der Region Nordsavo in Finnland machte der Naturfotograf Ari Komulainen Ende Januar diesen Jahres ein Foto (siehe Titelbild) von dem ältesten Steinadler (Aquila chrysaetos) Finnlands, der damit höchstwahrscheinlich auch der älteste Steinadler Europas ist. Der Adler war beringt, die Nummer war auf dem Schnappschuss gut zu erkennen.
Komulainen machte eine Meldung an das Finnische Museum für Naturgeschichte (LUOMUS), das bekannt gab, dass der Adler seinen Ring genau vor 34 Jahren, 6 Monaten und 27 Tagen erhalten hatte. Der finnische Artikel, der als erstes von dieser einmaligen Entdeckung berichtet, ist auf der Seite des Museums zu finden, die englische Übersetzung ebenso: https://luomus.fi/en/news/europes-oldest-golden-eagle-finnish). Es handelt sich damit um den drittältesten jemals in Finnland beringten Vogel. Ältere jemals lebend identifizierte Vögel sind in Finnland nur eine Trottellumme (Uria aalge), die es auf 34 Jahre und 11 Monate brachte und eine 34 Jahre und 7 Monate alte Silbermöwe (Larus argentatus).
Damit gab es einen neuen Rekord bei EURING, der europaweiten Beringungskoordinationszentrale. Bei Prüfen der Statistiken stellte man fest, dass die langlebigsten Vögel in Europa der Atlantiksturmtaucher (Puffinus puffinus) mit einem Rekord von 50 Jahren und 11 Monaten und die Reiherente (Aythya fuligula) mit 45 Jahren und 3 Monaten sind.
Die nun fotografierte und identifizierte Steinadlerdame ist im Frühjahr 1984 in Nordösterbotten (auf Finnisch: Pohjois-Pohjanmaa) als einziger Nachwuchs geschlüpft. Das Jungtier beringte Jouni Ruuskanen, der eine lange Erfahrung als Beringer von Greifvögeln hinter sich hat.
Nach der Beringung trat das Tier ein einziges Mal in Erscheinung, als es 1986 in Südwestfinnland in Laitila im Winter an einem Kadaver gesichtet und fotografiert wurde – bis 2019.
Leider erhielt die Geschichte der Adlerdame nur circa zwei Monate später eine unerwartete Wendung, als sie unerwartet auf dem Gebiet der Gemeinde Pyhäntä in Nordösterbotten tot aufgefunden wurde. Man fand den Adler stark abgemagert mit einer entzündeten Wunde im hinteren Bereich des Schwanzes. In der blutige Wunde fand man bei der Obduktion noch eine dreimillimetrige Schrottkugel. Leider ein sicheres Zeichen dafür, dass hier jemand auf den Greifvogel geschossen hatte. „Das geht auf das Konto von Raubtierwut“ kommentiert Juha Honkala vom finnischen Museum für Naturgeschichte.
Diese „Wut auf Raubtiere“ (auf Finnisch: „petoviha“) trifft in Finnland leider nicht nur den Adler, sondern auch insbesondere den Wolf und den Vielfraß. Diese drei Spezies werden insbesondere von den Rentierzüchtern gehasst, aber auch einige Jäger wollen es nicht hinnehmen, dass in Finnland diese Raubtiere unter Schutz stehen und nicht gejagt werden dürfen. Wer als Jäger seinen Lieblingshund an einen Wolf verloren hat, dem brennt manchmal die Sicherung durch, in Zweifel ist man sogar bereit, dafür eine Gefängnisstrafe auf sich zu nehmen – das kann man in Stammtischgesprächen in Lappland hören.
Gefunden hat den toten Adler ein Naturfreund und Jäger aus Iisalmi namens Antti Juutinen. Dieser ist Forstingenieur von Beruf und war mit seinem Hund in einem ihm gut bekannten Sumpfgebiet von Pyhäntä unterwegs. Auf das gefrorene Gelände hatte es ungefähr einen weiteren Zentimeter geschneit, Juutinen bemerkte frische Blut- und Kampfspuren, die ihn zu dem toten Adler führten.
Juutinen nahm den Vogel auf und übermittelte ihn zur Feststellung der Todesursache den zuständigen Behörden. Gleichzeitig meldete er die Beringungsdaten an LUOMUS, wo schnell klar wurde, dass es sich um den berühmten Rekordhalter handelt, über den im Winter die Presse berichtet hatte. Die anschließende Obduktion fand weder Krankheiten noch Gifte, es war nicht ganz klar, was schließlich die letztendliche Todesursache war. Wahrscheinlich hatte der stattgefundene Kampf und der Stress durch das Schießen das Tier in einen solchen Schock versetzt, dass diese letztlich zum Tod des Vogels geführt hatten. Das Tier wurde 34 Jahre, 8 Monate und 28 Tage alt.
Nach Durchführung einer noch genaueren Analyse durch die Behörden wird das Tier wahrscheinlich ausgestopft werden und Teil der Sammlung des finnischen Museums für Naturgeschichte.

In Finnland hat sich die Population der einst bedrohten Steinadler relativ gut erholt. Die meisten Steinadler wohnen in dem Areal, in dem auch Rentiere gezüchtet werden, wo diese früher heftig bekämpft wurden. Im Gegensatz zu damals erhalten die Rentierzüchter nach der Anzahl der auf ihrem Areal brütenden Paare eine pauschale Entschädigung für die Schäden, die Adler insbesondere neugeborenen Rentieren zufügen. Adler sind in der Lage, ein neugeborenes Rentier aufzunehmen und wegzutragen, älteren Tieren führen sie Schäden zu, indem sie mit ihren Krallen das Tier so verletzen, dass diese in vielen Fällen sterben.
Die finnische Forstzentrale schätzt die Zahl der Steinadler auf 330 bis 464 Exemplare.
Besonders traurig über diese Nachricht war der Fotograf dieses ausgewöhnlichen Exemplars. Fragen wir ihn trotzdem: Wie schafft man es, zu so tollen Naturfotografien zu kommen, Ari Komulainen?

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Der Naturfotograf Ari Komulainen (alle Fotos von ihm mit Erlaubnis zur Verfügung gestellt)

 

Ari erklärt, dass man lernen muss, sich in der Natur zu bewegen. Er hat schon im Alter von 15 Jahren mit der Fotografie begonnen. In seiner früheren Arbeit als Grenzschutzbeamter in Nordkarelien konnte er die Bewegung in der Natur mit dem Broterwerb verbinden. Nach 30 Jahren beim Grenzschutz kann er sich nun jedoch ausschließlich seinem Lieblingshobby widmen.
Komulainen fotografiert am liebsten Tiere in der freien Natur, ohne sie künstlich mit eigens dafür ausgelegten Kadavern anzulocken: “Es ist keine Kunst, mit regelmäßigen Kadavern Bären anzulocken, sie aber ganz normal zu erwischen, ist es!” Seine Tipps für Jungfotografen: Entwickelt euren eigenen Stil!
Die Frage, ob er Angst habe, dem König des Waldes zu begegnen, verneint er: “Nein, es ist mir nie etwas passiert. Man muss natürlich die Natur und den Bären achten und respektieren.” Weil er nur für sein eigenes Verhalten garantieren kann, geht er auch am liebsten alleine auf Fotopirsch.

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