Nachhaltig nach Corona?!

In diesem Blog werde ich mir ein paar Gedanken zur Zukunft des Tourismus in Finnland machen. Die hier vorgestellten Anregungen sollen Gedankenanstoß sein zum weiteren Diskutieren.

Mit „nach Corona“ ist hier keineswegs eine Zeit gemeint, in der es das Virus nicht mehr gäbe, sondern eine Zeit nach dem Auftreten des Virus, in der wir uns mit dem Virus so arrangiert haben, dass wir mit ihm leben können. Ungefähr so, wie wir mit Grippeviren bereits Jahrtausende leben.

Nachhaltigkeit im Tourismus ist kein wirklich neuer Gedanke. Bereits 2017 erklärte die UN-Generalversammlung das Jahr zum Internationalen Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung. Zahlreiche Initiativen sind am Laufen, ich selber nehme im Augenblick teil an einer Weiterbildung in diesem Bereich, um für mein Unternehmen das Maximum an Nachhaltigkeit in die Tat umsetzen zu können. Über meine Grundsätze in diesem Bereich hatte ich schon berichtet: https://claudiashelsinki.com/greta-hat-mich-inspiriert.

2017 wurden Deutsche zum Thema befragt. Die generelle Frage lautete: Unter welchen Umständen wären Sie bereit für einen Urlaub mehr zu bezahlen? (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/680524/umfrage/umfrage-zur-zahlungsbereitschaft-fuer-ausgewaehlte-urlaubscharakteristika/ ).

Für diese Dinge waren die Befragten zu so viel Prozent bereit, tiefer in die Tasche zu greifen:

Faire Bezahlung des Personals vor Ort: 50%

Hier schneidet Finnland im Vergleich zu vielen anderen Destinationen bereits ziemlich gut ab (obwohl nichts so gut ist, als das es nicht noch verbessert werden könnte). Die anderen 50%, die hier nichts zusätzlich zahlen wollen, sollen weiterhin auf Malle Urlaub machen.

Besseres Naturerlebnis: 41%

Auch hier hat Finnland einige der besten Karten für die Zeit „danach“. Je mehr die globale Erwärmung zuschlägt, desto mehr „Hitzeflieher“ werden ihren Weg in den Norden finden. Schon 2019 gab es in den finnischen Zeitungen Interviews mit Touristen aus dem hitzegeplagten Süden. Die Landschaft ist einfach viel mehr zu genießen, wenn einem der Schweiß nicht in Strömen herunterrinnt.

Besseres Essen: 38%

Hier muss auf jeden Fall noch aufgeholt werden. Es gibt viele Hoffnungsschimmer, durch die Rückmeldungen der Gäste weiß ich aber, dass es auch noch Aufholbedarf gibt. In diesem Bereich gibt es auch noch viel Unwissenheit bei den Gästen. Dass Finnland zum Beispiel im Durchschnitt das sauberste gleich pestizidärmste Gemüse der EU hat, wissen viele einfach nicht.

Mehr Komfort: 34%

Auch hier gibt es Aufholbedarf. Nicht überall, aber zu oft werden kleine Hotelzimmer, zu schmale Betten und Ähnliches bemängelt.

Mehr / besserer Service: 31%

Auch hier gibt es Luft nach oben. Warum kann dem Gast das alkoholische Getränk nicht an den Tisch gebracht werden? Immer wieder und wieder muss ich meinen Gästen erklären, dass es erklärtes Ziel der finnischen Alkoholpolitik ist, den Konsum von Alkohol zu erschweren. Es soll daher nicht zu leicht sein, viel Alkohol in kurzer Zeit herunter zu kippen.

Authentischere Ausflüge: 28%

Hier sollten sich die Incoming-Agenturen etwas einfallen lassen. Die Beispiele von anderen Kreuzfahrthäfen (Venedig und Dubrovnik) zeigen, dass die Städte durchaus etwas unternehmen können, um Schäden abzuwenden und Nutzen zu optimieren. Hier meine Vorschläge: Mindestliegezeit von 6 Stunden im Hafen – damit die Gäste genug Zeit haben, um an Land auch zum Beispiel essen zu gehen und ihr Geld in der Stadt zu lassen (es muss einem klar sein, dass dieses nicht unbedingt erklärtes Ziel der Reiseveranstalter ist, diese wollen eher das Schiff als Destination, besonders im günstigeren Segment wird der echte Gewinn erst beim Verkauf an Bord gemacht, nicht beim Verkauf der Kreuzfahrt). Beschränkung der Schiffsanzahl im Hafen: im extremsten Fall hatten wir in Helsinki insgesamt sechs Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig im Hafen. Das bedeutete circa 15000 Gäste auf einmal in der Stadt. Ausflugsbusse, die keinen Platz mehr finden an den beliebtesten Haltestellen. Ist es mehr als ein deutschsprachiges Schiff, dann haben wir auch Probleme, genug deutschsprachige Guides bereitstellen zu können. Weil man hier ja mittlerweile zu oft der Meinung ist, dass man Deutsch nicht mehr brauche, trotz Brexit. Ein Großteil unserer deutschsprachigen Guides ist schon in der Nähe des Rentenalters, Nachwuchs gibt es kaum. Corona hat auch einige der Kolleginnen gezwungen, sich anderweitig umzusehen, um finanziell über die Runden zu kommen. Ob diese dann nach Überwinden der Krise wieder in den Tourismus zurückkehren, ist abzuwarten.

Wann wird es wieder so belebt sein?

Für die Fremdenführer wünsche ich mir das System von London. In London muss man einen Fremdenführer entweder den halben Tag (8-12 Uhr) oder den ganzen Tag (8-16 Uhr) engagieren. Auch das ist nachhaltig. Die deutsche Unart (ja, meines Wissens sind das ausschließlich deutsche Busse, die das machen!), die Kollegen nur für 1,5 oder 2 Stunden einsetzen wollen, um ein paar Euros zu sparen, ermöglicht kein Auskommen. So ganz nebenbei: vor 10-15 Jahren buchte man immer drei Stunden, dann kam diese Unart auf, meistens verlangte man sogar, in den zwei Stunden dann trotzdem dasselbe Programm geboten zu bekommen wie zuvor in drei Stunden. Wenn diese zwei Stunden dann auch noch von 11 bis 13 Uhr liegen, ist der ganze Tag blockiert, aber leider hat man nur so wenig verdient, dass keiner davon leben kann. Diese Art von Billigbussen habe ich bereits als Kunden aussortiert, es ist einfach total unbefriedigend für den Gast, wenn ich ihn von einer zu anderen Stelle nur hetzen muss, damit wir es dann doch in zwei Stunden schaffen – und oft bedeutete es, dass ich den Bus bei der letzten Sehenswürdigkeit schon verlassen musste, um so Zeit zu sparen und irgendwie auf zwei Stunden zu kommen.

Man könnte auch die zeitliche Planung der Kreuzfahrtschiffe intelligenter gestalten, zumal es in der Saison auch Tage gibt, an denen nur ein oder zwei Schiffe im Hafen liegen. Das Ganze findet ungefähr 1,5 – 2 Jahre vor dem geplanten Besuch statt. Über eine Art Anmeldesystem – wer zuerst kommt, mahlt zuerst – könnten sich die Reedereien beim Hafenamt anmelden und Slots ergattern. Da im Norden im Sommer es auch abends lange hell ist, könnte man zwei Slots einführen: die ersten kommen um 7 Uhr und fahren um 13 Uhr und die nächsten kommen um 13.30 oder 14 Uhr und bleiben bis 19.30 oder 20 Uhr.

Am neuen D-Kai von Hernesaari

Helsinki wird nach der Krise noch beliebter sein als zuvor. Woher ich meinen Optimismus nehme? Schauen wir uns einfach an, wie bereits jetzt Reiseveranstalter die Saison 2021 geplant haben, wenn es sie denn geben würde. So wollen die Aida-Schiffe Helsinki im Sommer 2021 insgesamt 64 Mal besuchen, häufiger als jemals zuvor, in den Jahren vor Corona waren es so circa knapp über 40 Mal. Warum diese Steigerung? Die Planenden haben sich einfach die Coronazahlen von ganz Europa angesehen und gemerkt, dass wenn es irgendwo nicht ganz so schlimm ist wie woanders, dann in Finnland. Die sensationelle Impfbereitschaft der Finnen verheißt auch auf lange Sicht, dass es hier insgesamt weniger Probleme geben wird, auch wenn man mit Gästen hierher kommt, die selbst die Impfung ablehnen. Ob das funktionieren wird, steht in den Sternen. Finnland könnte auch auf die Idee kommen, dass man hierher nur reisen kann, wenn man beweisen kann, dass man entweder geimpft ist oder eine Corona-Erkrankung hinter sich hat. Das Ganze mit dem Verweis auf die wenigen Intensivbetten. Wir können es – besonders bei unvorhersehbaren Entwicklungen – nicht riskieren, dass ungeimpfte Urlauber zum Beispiel bei Ausbruch einer neuen Virusvariante die Krankenhäuser füllen. Im Frühjahr hatten wir z.B. in ganz Lappland gerade mal zwei Beatmungsplätze in Intensivstationen. Mehr brauche ich wohl dazu nicht zu sagen.

Weniger Belästigung durch andere Gäste: 28%

Finnland hat hier hervorragende Vorrausetzungen, um europaweit das geringste Störrisiko anbieten zu können. Etwa Ferienwohnungen, bei denen es einen garantierten Mindestabstand zum nächsten Nachbarn gibt. Hier könnte man einen einheitlichen Standard für alle Anbieter entwickeln, zum Beispiel derart, ein kurzer Check auf http://www.huvila.net/englanti/etusivu.htm, einer der größten Ferienwohnungsvermittler, ergab mengenmäßig folgende Treffer (mit insgesamt derzeit 668 freien auf der Seite am 28.3.21 zu sehenden Objekten):

mehr als 5 Kilometer zum nächsten Nachbarn: garantiert paparazzifrei, 5 Sterne (5 Objekte)

mehr als 1 Kilometer: garantierte Privatsphäre, 4 Sterne (31 Objekte)

mehr als 500 m: Standard, 3 Sterne (79 Objekte)

mehr als 100 m: Schwimmanzug erforderlich, 2 Sterne (468 Objekte)

mehr als 50 m: mitteleuropäische Verhältnisse; 1 Stern (566 Objekte)

Summa summarum bieten also 566 von insgesamt 668 einen Mindestabstand von mindestens 50 Metern zum nächsten Nachbarn und mehr als zwei Drittel sogar mehr als 100 Meter.

Geringe CO2-Emmissionen bei der Anreise: 23%

Ausgleich für meine C02-Emmissionen: 22%

Öko-Strom in der Ferienanlage: 17%

Nur Bio-Lebensmittel in der Ferienanlage: 16%

Mehr / bessere Sportangebote: 10%

Nichts davon: 12%

Corona hat uns gezeigt, dass in unglaublich schneller Zeit Menschen ihr Verhalten ändern können. Wenn man nur will – und wenn man muss. Das könnte genau der Ansporn sein, die Zeit zu nutzen, um das Ruder Richtung Nachhaltigkeit umzureißen.

Es könnte sein, dass Reisen insgesamt teurer wird. Weil eine Reihe von Anbietern die Corona-Krise nicht überleben wird und die Überlebenden dann ordentlich entlohnt werden wollen. Reisen also wieder nur etwas für Gutbetuchte? Das würde eher die niederpreisigen Regionen und weniger den Norden treffen, wer es unbedingt billig haben will, hat sich auch schon vor Corona weniger für Finnland entschieden. Das könnte insbesondere auch die Kreuzfahrtbranche treffen. Die kleineren Schiffe – wie man jetzt zum Beispiel bei den Expeditionsschiffen von Hapag Lloyd sieht – können einfach viel flexibler Hygienekonzepte in die Praxis umsetzen und auch Preise verlangen, die einfach verlangt werden müssen, wenn man dem Gast das doppelte Raumangebot zur Verfügung stellen will. Die Massenanbieter schaffen das einfach nicht, die Ausbrüche von Corona trafen halt in der Regel die großen Schiffe.

Viele gehen auch davon aus, dass es nach der Krise auch jede Menge angestaute Nachfrage geben wird. Wer krisenfeste Arbeitsplätze hat, möchte nach der Zwangspause dann gerne nachholen, was verpasst wurde. Urlaub innerhalb der EU könnte dann bevorzugt werden, weil hier zumindest die europäische Krankenversicherungskarte gilt. Der eine oder andere wird bei der Planung des nächsten Urlaubs auch Karten mit Corona-Statistiken zu Rate ziehen.

Wie dem auch sei, die verschiedenen Akteure in der Tourismusbranche sind sich einig, dass es mehrere Jahre dauern wird, bis wir wieder auf dem Niveau von 2019 sein werden. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass dieses frühestens 2024 der Fall sein wird. Leider ist die Sommersaison 2021 schon so gut wie ins Corona-Wasser gefallen, die erste halbwegs normale Saison wird wohl 2022 sein, 2023 können wir anziehen, um 2024 wieder auf dem Niveau von 2019 zu sein. Und das ist schon sehr optimistisch gesehen.

Was meinen Sie – was meint ihr dazu? Sollen wir überhaupt eine Rückkehr ins „Normale“ anstreben? Das neue Normal könnte auch ein nachhaltigeres Normal sein, ich hoffe es jedenfalls und werde meinen Teil dazu beitragen, dass es so werden kann.

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