Eislochbaden

 

Nachdem letzte Woche in der 60 Grad heißen Sauna von Suomenlinna ein Weltrekord aufgestellt wurde, gehen wir jetzt in die andere Richtung der Temperaturskala.

Das Wort “Eislochbaden” selbst ist ein wenig irreführend: auch wenn es noch kein Eis gibt, kann das Wasser genau dieselben Temperaturen haben wie bei einer Eisdecke. Man sollte daher nicht glauben, dass ein Eintauchen ohne Eis wesentlich angenehmer wäre als mit Eis!

 

Als Eislochbaden oder gar Schwimmen bezeichnet man also entweder nur Eintauchen oder Schwimmen im gerade mal ein bis vier Grad kalten Wasser Süßwasser, im Meer kann das Wasser wegen seines Salzgehalts sogar bis -1,5 Grad haben, ohne zu frieren. Die eingeweihten schwören darauf. Laut Definition gilt als “Winterschwimmen” das Schwimmen in Wasser, das weniger als 10 Grad hat und als “Eislochschwimmen”, wenn es maximal vier Grad hat.

 

Als gesundheitlicher Nutzen des Eislochbadens werden angegeben (die Liste wurde übersetzt von einer Zusammenstellung, die der Verein Suomen latu in Kooperation mit dem finnischen Verband der Schwimmlehrer und der Meeresrettung zusammen mit dem finnischen Unterrichtsministerium herausgegeben hat) :

  • Stärkung des Immunsystems (man soll keine Erkältungen mehr bekommen)
  • verlangsamt das Altern
  • verbessert das allgemeine Wohlbefinden
  • hilft, besser und klarer zu denken
  • verbessert das Sexualleben
  • verringert den Blutdruck
  • verbessert die Kälteresistenz
  • verkürzt nach Anstrengung die Regeneration
  • verbessert die Haut (durch bessere Durchblutung)

 

Der finnische Rheuma-Verband empfiehlt seinen Mitgliedern, dieses Hobby auszuprobieren. In vielen Fällen verringert das Eislochbaden die Schmerzen sehr stark oder lässt sie sogar verschwinden. Physiologisch lässt sich das relativ einfach erklären: der Körper erkennt die für den Menschen eigentlich sogar lebensgefährliche Situation und reagiert mit der Ausschüttung körpereigener Hormone (u.a. Noradrenalin), die zunächst den Blutdruck ansteigen lassen, was einen gewissen Trainingseffekt bewirkt – in der Zeit, in der man nicht ins Wasser geht, kann der Blutdruck nun entsprechend sinken. Die Konzentrierung auf das wirklich Wichtige bewirkt auch, dass man besser abschalten kann und sich nicht von Kleinigkeiten verwirren lässt. Viele Anhänger dieses Sports berichten auch von besserem Schlaf.

Die Wissenschaft hat das Phänomen untersucht und hat z.B. herausgefunden, dass die Anzahl der Leukozyten sich durch Winterschwimmen erhöht, das würde die bessere Immunität erklären (Lombardi, G., Ricci, C et al. (2011): Effect of winter swimming on haematological parameters. In: Biochemica Medica 21(1), 71–78).

Das bessere Sexualleben erklärt sich durch eine signifikante Erhöhung des Testosteronspiegels und die Creatin-Kinase-Werte waren signifikant niedriger, so dass die Leistungsfähigkeit insgesamt gesteigert ist (Arnd Krüger: Ganzkörperkältetherapie. In: Leistungssport (Zeitschrift) 44(2014), 5, 25–26)

 

Die Eislochsaison beginnt am 1.11., einige der Vereine beginnen sie, indem sie symbolisch ein paar Eisstücke ins Wasser schmeißen, so die “Katajanokan särkijät” (Eisbrecher von Katajanokka), die eine vereinseigene Stelle ganz in der Nähe der Eisbrecher im Stadtteil Katajanokka betreiben (leider nur für Vereinsmitglieder!). Auch wird die vereinseigene Fahne gehisst. Ende der Saison ist dann meistens im April.

 

Ein beliebtes Hobby der Finnen

Laut einer Schätzung auf Wikipedia betreiben circa 2% der Bevölkerung dieses Hobby. Da nur die wenigsten in Vereinen organisiert sind, muss die Zahl eine Schätzung bleiben, wer unorganisiert einfach beim eigenen Sommerhäuschen ins Eisloch springt, bleibt unerfasst… Und manche schwören darauf. Für das Eisloch gibt es auch ein eigenes Wort, das nicht wie im Deutschen aus den Teilen “Eis” und “Loch” zusammengesetzt ist: avanto. Eine wortwörtliche Übersetzung wäre “offene Stelle”, weil es verwandt ist mit “avata” (öffnen) und “avattu” (offen).

 

Besonderer Höhepunkt für die eingefleischten Eislochschwimmer sind natürlich die finnischen Meisterschaften und erst recht die Weltmeisterschaften, die im Maximalfall folgende Disziplinen umfassen:

25 m Brustschwimmen & Freistil & Butterfly

50 m Brustschwimmen & Freistil

100 m Brustschwimmen & Freistil

200 m Brustschwimmern & Freistil

450 m Endurance (war auf jeden Fall bei der letzten Weltmeisterschaft dabei, die 2018 in Tallinn ausgetragen wurde)

4x 25 m Staffel in Brustschwimmen und Freistil

 

In Helsinki und Umgebung gibt es eine Reihe von Stellen (insgesamt derzeit 16), an denen man Eislochbaden praktizieren kann. An vielen Stellen wird das Eisloch und die Infrastruktur (= eine Hütte, in der man sich umziehen kann, sehr oft mit Sauna) von einem Verein betrieben, und man sollte Mitglied sein, um mitmachen zu können (dann steht immer “Verein”; nach dem Namen ein “ry” dabei). Sollte aus den Seiten hervorgehen, dass ausschließlich Mitglieder ins Eisloch dürfen, dann wird die Stelle hier auf Deutsch nicht erwähnt. Manche Vereine vermieten jedoch bei Anfrage ihre Anlage, deswegen auch der Link.

Hier eine Zusammenstellung von derzeit vier Stellen auf Deutsch, die Sie auf Finnisch unter

https://www.stadissa.fi/paikat/935/helsingin-talviuinti-ja-avantouintipaikat

finden, eine von der Stadt Helsinki zusammengestellte Liste, für das Auffinden auf der Karte zusammen mit dem finnischen Text. Die Reihung ist eine andere als auf der finnischen Liste, ich erwähne die für den anreisenden Gast am einfachsten und vom Zentrum aus am bequemsten erreichbaren Stellen zuerst.

 

Goethe hätte übrigens seine Freunde beim Besuch in Helsinki, von ihm wird erzählt, dass er das Eis der Ilm aufgehackte, um in ihr zu baden. Hier also meine Emfehlungsliste für diejenigen, die es ihm nachmachen wollen:

 

Allas Sea Pool (Katajanokka)

Drei Schwimmbecken: entweder im original Meereswasserschwimmbecken – mit Originaltemperatur, oder in zwei angenehm auf 27 Grad erwärmten Becken. Drei Saunen: eine für Damen, eine für Herren und eine gemischte. Mit angeschlossenem Restaurant. Keine Zeitbegrenzung, das Ticket gilt für den gesamten Tag. Liegt direkt im Südhafen der Stadt, von den Schwimmbecken hat man direkte Sicht auf die Schwedenfähren.

allasseapool.fi

 

Löyly (Hernesaari)

Das futuristische Sauna-Gebäude ist 2018 auf der Liste der interessantesten 100 neuen Gebäude der Welt der Times gelandet. Sehr beliebt, ermöglicht ein Luxuseisbaden in der Ostsee mitten in der Stadt. Mit Restaurant und Terrasse. Eignet sich auch im Sommer als einmalige Saunaerfahrung für Gäste, deren Kreuzfahrtschiff am 10 Minuten entfernten Anleger Hernesaari (siehe Mit dem Kreuzfahrtschiff nach Helsinki – Insidertipps Teil 1…. ) liegt.

Löyly

 

 

 

Kuusijärvi, vanha Lahdentien (Kuusijärventie, Vantaa)

Der Strand von Kuusijärvi umfasst mehrere Saunen, darunter zwei Rauchsaunen (siehe Rauchsauna nach Kainuu Art) und eine elektrisch betriebene und ist sehr beliebt. Nach dem Schwimmen kann man sich im Restaurant stärken.

 

 

 

Villa Furuvik (Jollas, Laajasalo)

Circa 10 km vom Zentrum entfernt, aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen Eislochschwimmmöglichkeit ohne Sauna. Zwei Saunen, zum Mieten.

Talviuimarienkerho ry

Doch bevor Sie damit anfangen: bitte konsultieren Sie vorher Ihren Arzt. Ganz speziell Personen mit Herzproblemen sollten sehr vorsichtig sein und das Ganze eher lassen. Und auf jeden Fall gilt für jeden, ob Anfänger oder alter Hase: nie alleine ins Wasser gehen, immer mindestens zu zweit. So kann der andere Alarm schlagen und gegebenenfalls helfen, falls doch etwas passiert.

Außerdem sollte man nur mit Schwimmschuhen, Handschuhen und einer Kopfbedeckung ins Eisloch gehen. Die Schuhe sind wichtig, weil sonst schon der Weg zum Loch eine Qual sein kann, die Fußsohlen sind extrem empfindlich. Auch schützen die Schuhe die Extremitäten im Wasser, über den Kopf verliert der Mensch 20% seiner Energie, weswegen eine Kopfbedeckung einen großen Unterschied ausmacht (wer es ausprobiert, wird es merken!). Aus demselben Grund sollte man nie komplett untertauchen und seinen Kopf nicht nass machen!

 

Wer nach Eislochstellen in ganz Finnland sucht, der wird auf der folgenden Seite fündig: http://www.avantouinti.fi/

 

Und falls Sie mich fragen: ja, natürlich habe ich es ausprobiert. Ein halbes Jahr habe ich es durchgehalten und war einmal in der Woche im Wasser. Keine Erkältung: stimmt! Nach dem Schwimmen fühlt man ein regelrechtes High, die Gedanken sind klar und bestimmt, man fühlt sich energievoll und pudelwohl. Aber leider kostet es immer wieder Überwindung, ins Loch zu gehen, das Maß der Überwindung wurde zumindest bei mir nicht weniger. Die Stelle, an der ich ins Wasser ging, wurde dann von einem Verein übernommen, und ich habe mir nicht die Arbeit gemacht, Mitglied zu werden. Aber immer, wenn sich die Gelegenheit bietet, gehe ich ins Eisloch. Es gibt kaum andere Möglichkeiten, auf so gesunde Art und Weise so einfach zu einem High zu kommen!

 

 

 

 

 

 

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