Ein Museumsgeheimtipp

Sie interessieren sich für ein Museum, das keine reguläre Eintrittszeiten hat und nur nach persönlicher Absprache gebucht werden kann? Das mit seiner Sammlung eines der größten der Welt ist, das aber trotzdem nur wenige Eingeweihte kennen?

Der finnische Präsident Mauno Koivisto hat dieses Museum übrigens auch mit seiner Anwesenheit beehrt, ein Foto vom seinem Besuch ist in dem alten Klassenzimmer zu sehen, das zum Museum gehört.

 

Herzlich willkommen in der Welt der alten Schreibmaschinen. Über 400 von ihnen sind im 1989 gegründeten Museum der alten Schreibmaschinen zu finden, beheimatet im Business College Helsinki, in der Rautatieläisenkatu 5, 00520 Helsinki. Das Business College Helsinki trägt heutzutage keinen eigenen deutschen Namen mehr, es war früher bekannt als die Höhere Wirtschaftsfachschule der Finnischen Kaufmannschaft. Diese von Kaufleuten selbst gegründete Institution war die erste, die in Helsinki ab 1898 eine Ausbildung für Kaufleute anbot, bereits drei Jahre später kam die erste Schreibmaschine im Unterricht zum Einsatz. Aus einem Teil dieser Institution entwickelte sich später dann die Wirtschaftsuniversität Helsinki. Ebenso ist diese Wirtschaftsfachschule auch gleichzeitig die Kernzelle, aus der sowohl das Business College entstand (eine Institution des mittleren Bildungswegs) und die Fachhochschule Helia, die 2007 mit der von Haaga zur heutigen Fachhochschule Haaga-Helia fusionierte.

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So wurde im ersten Schreibmaschinenraum unterrichtet

Wie kam das College zu dieser Sammlung? Alles ist einem schon seit vielen Jahren in Finnland ansässigem Italiener namens Di Napoli zu verdanken, den die Sammlerleidenschaft für alte Schreibmaschinen gepackt hatte. Dessen Frau stellte ihn eines Tages vor die Entscheidung: entweder die Schreibmaschinen gehen oder ich. Herr Di Napoli hatte seine Frau dann doch zu gern, so dass er einen Ausweg aus dem Dilemma suchte. Er kontaktierte Raimo Harlio, der damals die Wirtschaftsfachschule leitete. Die alte Wirtschaftsfachschule war die erste Institution in Finnland gewesen, in der man das Schreibmaschinenschreiben lernen konnte, und daher auch einer der ersten Käufer einer der ersten Schreibmaschinen Finnlands. Die erste 1902 gekaufte Maschine findet sich daher auch in der Sammlung. Es handelt sich um eine „New Century Calligraph“. Verkäufer war ein ziemlich berühmter Mann, nämlich der Vater von Marschall Mannerheim, Graf Carl Mannerheim, der ein Geschäft für Kontorbedarf betrieb. Der Graf gab der Schule einen beachtlichen Nachlass auf den Kaufpreis. Genau diese Institution erschien daher als der natürliche Ort für seine Sammlung. Gesagt, getan, 1989 wurde das Museum gegründet. Sammelgrundsatz ist, dass die Maschine in Finnland in Verwendung gewesen sein muss.

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Die New Century Calligraph, die erste im Unterricht eingesetzte Schreibmaschine

Die Schreibmaschine selbst ist natürlich keine finnische Erfindung und es wurden auch nie Schreibmaschinen in Finnland selbst hergestellt. Es ist also alles Importware. Die erste Schreibmaschine war eine für Blinde. In Finnland kaufte die erste Schreibmaschine für Sehende der Kaufmann Henrik Fabian Helminen aus Jyväskylä: „Er lernte im Jahre 1876 in Amerika sowohl die Schreibmaschine als auch das Telefon kennen. Helminen bestellte auf der Messe eine Schreibmaschine der Marke Remington, Modell 1 (Type-Writer). Der nach Finnland importierten Maschine fügte man die Buchstaben ä und ö hinzu… Helminen ist auch dafür bekannt, dass er als erster in Finnland eine Telefonverbindung zwischen seinem Geschäft und seinem außerhalb der Stadt gelegenen Bauernhof herstellte“ (S. 51). Schon hier zeigt sich die Technikfreundlichkeit (siehe auch mein Blog Zukunfts-land Finnland) der Finnen, gerne und schnell sich neue Technologien anzueignen!

 

In der Sammlung sind einige wahre Perlen zu sehen. So zum Beispiel eine Kopie der von Peter Mitterhofer (1822-1893) fast gänzlich aus Holz gebauten Schreibmaschine, die allerdings nie in Serie angefertigt wurde, jedoch als Vorläufer aller Schreibmaschinen gilt.

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Das Modell vom österreichischen Erfinder Peter Mitterhofer

Natürlich gibt es jede Menge amerikanische Modelle zu sehen: Remington ist sehr gut vertreten. Seltene Modelle, die Sammlerherzen höher schlagen lassen, sind die Caligraph, Kosmopolit, die rote Mignon, Niagara, Odell, Oliver, Olivetti M1, Stoewer. Und natürlich sind auch Modelle von Adler zu sehen, „so nahm die deutsche Fahrradfabrik Adler im Jahr 1898 die Lizenzfertigung der aus Kanada stammenden „Empire“-Schreibmaschine auf. „Die Adler“ aus eigener Produktion kam 1899 heraus, sie begründete den Erfolg dieser europäischen Schreibmaschinenmarke“ (S. 20).

Ergänzt wird die Sammlung durch einige Rechenmaschinen, die in Finnland verwendet wurden. DPFHLx%lTUiDq%YGVQrjIQ

 

Falls Sie Enthusiast sind oder Sammler und dieses Museum unbedingt erleben wollen, dann können Sie sich mit mir in Verbindung setzen. Bitte planen Sie aber reichlich Vorplanungszeit ein, außerdem sollte man die Tatsache bedenken, dass das Business College in den Sommermonaten geschlossen ist (circa von Mitte Juni bis Mitte August) und in dieser Zeit eine Führung so gut wie ausgeschlossen ist. Der Besuch kann dann auch gerne mit Informationen über das finnische Bildungssystem verbunden werden, weil wir uns dann direkt in einer Berufsschule befinden und als Nachbarn die zweitgrößte finnische Fachhochschule haben, in der ich selbst als Senior Lecturer unterrichte.

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Ein chinesisches Modell

Für diesen Blog habe ich das Buch „Kiehtovat wanhat kirjoituskoneet / The Fascinating Old Typewriters / Die faszinierenden alten Schreibmaschinen“ zu Rate gezogen, geschrieben von Raimo Harlio , Gennaro Di Napoli und Pirjo Santonen, 2000 herausgegeben von den den Autoren und der damaligen Wirtschaftsfachschule. Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Heidemarie Aapro. Sämtliche Zitate sind aus diesem Buch.

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