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Warum ich in Finnland lebe – 12 Gründe

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Immer wieder fragen mich meine Gäste während meiner Arbeit, warum ich mich für Finnland entschieden habe. Da dieses eine der beliebtesten Fragen ist, die mir gestellt werden, möchte ich gerne darauf eingehen und bei der Gelegenheit auch einige weitere Fakten über Helsinki vorstellen, die gerade für Deutschsprachige interessant sein könnten.

1. Persönliche Gründe
Ganz klar, die stehen an erster Stelle, da ist vor allem die Familie beziehungsweise Verwandtschaft und Freunde. Die gesamte Familie meiner Mutter lebt in Finnland, so ist meine Lieblingstante in Finnland zuhause. Auch mein Bruder wohnt seit vielen Jahren hier mit seiner Familie und seinen beiden Kindern. Ich bin mit Begeisterung PANK („Professional Aunt, no kids“). Der einzige Bruder meines Vaters lebt in den USA, so dass in Deutschland keine weiteren Verwandten übrig geblieben sind. Nur meine Eltern wohnen noch dort.
Meine ehemaligen Au-pair-Eltern, bei denen ich vor über 30 Jahren gearbeitet habe und Finnisch gelernt habe, sind immer noch meine besten Freunde hier. Und natürlich habe ich darüber hinaus noch weitere Freunde hier, so gibt es eine deutsche Spielgruppe. Für Deutschsprachige ist das Leben in Helsinki und Umgebung ziemlich einfach: vom deutschen Kindergarten über die deutsche Schule gibt es bis zum deutschsprachigen Altersheim alles. Eine deutsche evangelische Kirchengemeinde mit einer deutschen Kirche bietet vom Gottesdienst bis zu Konzerten eine vielfältige Palette an, darüber hinaus gibt es eine deutsche Bibliothek, deren Bücherflohmarkt einfach nicht zu schlagen ist. Das Goethe-Institut still den Hunger an deutschen Zeitschriften und Zeitungen, und es gibt sogar ein deutsches Kaffeehaus und ein deutsche Restaurant.

2. Besseres Bildungssystem, mehr Wertschätzung für Bildung
Als in Finnland ausgebildete Pädagogin stehen mir beim deutschen Schulsystem die Haare zu Berge. In Finnland ist zwar auch nicht immer alles Gold, was glänzt, aber so Absurditäten wie die Tatsache, dass in Deutschland manche Bundesländer von der Anzahl der Schüler „überrascht“ werden, die „in die Schule purzeln“, gibt es hier nicht. Hier wird auch nicht auf Lehrer geschimpft, was in Deutschland immer mehr zum Volkssport wird, nachdem auch Politiker mit schlechtem Beispiel vorausgehen.
Welche deutsche Fachhochschule ermöglicht ihren Dozenten, dass sie in regelmäßigen Abständen von fünf Jahren jeweils für acht Wochen bezahlt in die Wirtschaft gehen können und dort ein „Lehrerpraktikum“ absolvieren können, an Stellen, wo ihre eigenen Studierenden später arbeiten werden? So konnte ich 2013 mein Lehrerpraktikum auf dem Kreuzfahrtschiff MS Artania absolvieren, daraus resultierte die Videovorlesung „Qualitätssicherung bei Landausflügen von Kreuzfahrtschiffen“, die alle neuen Tourismusstudierenden sich einfach von der Lernplattform herunterladen können. Lehrkräfte, die einen normalen Arbeitsplatz in der Wirtschaft das letzte Mal vor 40 Jahren (oder gar nie!) gesehen haben, können die zukünftige Generation nicht auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten. Da muss sich Deutschland noch eine Menge einfallen lassen, um auch nur annähernd finnisches Niveau zu erreichen. Wer jetzt neugierig geworden ist: mal nachschauen unter www.haaga-helia.fi man kann zum Beispiel auch International Business auf Englisch studieren, ohne eine einziges Wort Finnisch zu können (im Laufe des Studiums muss man dann einen Finnischkurs machen, aber den haben bisher noch alle geschafft). Für Studierende aus Eu-Ländern gibt es keine Studiengebühren!
Zugangsvoraussetzung ist das Bestehen eines Zugangsexamens, alle Details finden sich unter der Internetadresse! Wie übrigens für fast alle Studiengänge in Finnland, die Universitäten und Fachhochschulen können diese Zugangsexamen selbst gestalten und so sicherstellen, dass nur geeignete Studierende mit dem Studium beginnen. Wer es schafft, bei einem der beliebten Studiengänge reinzukommen, der wird auch so gut betreut, dass er in der Regel auch den Abschluss schafft. Auch das Lehramtsstudium kann man nicht ohne Zugangsexamen beginnen: einer der Gründe, warum Finnland besser motivierte Lehrkräfte hat als Deutschland, hier kann nicht einfach jeder Lehrer werden, der es will.
Das deutsche System, im Laufe des Studiums mehrmals unter den Studierenden auszusieben (zum Beispiel bei Jura), finde ich dagegen ziemlich grausam.

Oder nehmen wir den Anteil derjenigen Erwachsenen im Berufsleben (25-64), die sich weiterbilden, in Finnland sind es 25,4% versus einem europäischen Durchschnitt von 10,7%, in Deutschland sind es gerade einmal 8,1% (Europäische Kommission: Education and Training Monitor 2016. Country Report). Ich gehöre zu den über 25%, die sich weiterbilden und schreibe an meiner Doktorarbeit, in Deutschland könnte ich davon wohl nur träumen! So gibt es hier einen gesetzlichen Anspruch auf die Gewährung von unbezahlter Freistellung für Bildungszwecke, zwei Jahre innerhalb von fünf Arbeitsjahren muss der Arbeitgeber in Absprache gewähren, Bildungseinrichtungen gewähren oft weitere Freistellungen.

3. Mehr Natur, einfacher erreichbar
Wo sonst könnte ich 30 Minuten vom Zentrum der Hauptstadt entfernt wohnen, es trotzdem nur fünf Fußwegminuten in den nächsten Wald haben und 30 Minuten zum nächsten Naturpark, wo ich nach Herzenslust Beeren und Pilze sammeln kann? Wo ich in der Regel (nicht nach diesem heißen Sommer, aber sonst eigentlich immer) an einem Nachmittag den Eimer voller Pilze habe: Steinpilze, Semmelstoppelpilze, Pfifferlinge und Herbsttrompeten? Und das Ganze ist auch noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen?

4. Mehr Platz in der Natur
Wenn ich Pilze sammeln gehe, dann begegne ich normalerweise im Wald niemandem. Wenn ich in Finnland ein Sommerhaus miete, dann kann ich als Normalverdiener eines mieten, wo ich nackt nach der Sauna ins Wasser springen kann – weil der nächste Nachbar so weit entfernt ist, dass das möglich ist. Sorry, an deutschen, österreichischen oder Schweizer Seen können sich das nicht einmal Millionäre leisten.

5. Weniger Hierarchien und unkompliziertere Leute
Mit meiner Chefin (ebenso wie mit dem Rektor der Fachschule) bin ich per du, sie hat keine Sekretärin als Zerberus. Terminvereinbarungen und alles andere klappen ohne Formalitäten.
In Finnland muss ich mir nicht nur keine Titel merken, sondern nicht einmal die Nachnamen. Da man sofort mit dem Vornamen vorgestellt wird und der dann in Zukunft ausreicht, kann man sogar den Nachnamen vergessen. Für jemanden, der echt Probleme mit dem Namenmerken hat, eine große Erleichterung. Dass im Deutschen nicht nur der Name ausreicht, sondern dazu auch noch der richtige Titel, sorgt bei mir immer noch für Kopfschmerzen. Erst neulich habe ich hier von einer Person, die ich schon fast ein Jahr kannte, zufällig herausgefunden, dass sie promoviert hatte.

6. Mehr Wertschätzung für Fremdsprachkompetenz
In Deutschland gibt es zu viele, deren Schätzung nur Ärzten und Juristen gilt. Sprachkompetenz gilt vielen als ein Hobby. Natürlich auch deswegen, weil die wenigsten sich wirklich die Mühe gegeben haben, eine fremde Sprache auf Arbeitsniveau zu lernen. Weil man nur dann merkt, wie schwierig das ist. Dadurch glauben zu viele, dass Übersetzen und Dolmetschen Dinge sind, die Cousine Hertha mal eben so mit links machen kann, weil sie ein halbes Jahr in England war. Nein, kann sie nicht. Ich habe es aufgegeben, in diesem Bereich Aufklärungsarbeit zu leisten. Nein, eine Seite juristischer Fachtext ist NICHT in fünf Minuten zu übersetzen. Und deswegen kostet das auch so viel. In Finnland weiß fast jeder, was das bedeutet. Hier muss man solche Dinge nicht erklären. Das tut so gut.

7. Sauberere Umwelt
Obwohl mir in Deutschland eine Birkenpollenallergie diagnostiziert wurde, leide ich in Finnland nur einen Bruchteil an dem, was ich in Mitteleuropa leide. Es muss mit der Umweltverschmutzung zu tun haben. Das ist mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt: Pollen mit weiteren Schmutzpartikeln sind wesentlich aggressiver. Warum also soll ich in Mitteleuropa leiden?
Auch die EU hat bestätigt: in Muonio in Finnisch-Lappland findet sich die sauberste Luft der gesamten EU.

8. Besseres und weiches Wasser
Wer einmal seine Haare mit dem weichen finnischen Wasser gewaschen hat, will kein anderes Wasser mehr haben. Die Abwesenheit von Kalkgestein in Finnland bewirkt, dass man hier weder Calgon in der Waschmaschine noch Salz in der Spülmaschine braucht. Und keine hässlichen Kalkflecken auf Gläsern und der Spüle…

9. Deutlichere Jahreszeiten
Hier gibt es noch (wie lange noch?) deutlichere Unterschiede zwischen den Jahreszeiten.

10. Sicherere Umgebung
Finnland wurde 2017 zum sichersten Land der Welt für Touristen gekürt (World Economic Forum: Travel & Tourism Competitiveness Report 2017, 136 beurteilte Länder). Wenn Sie auf dem Senatsplatz sind und auf das Regierungsgebäude schauen, dann sehen Sie öffentliche Parkplätze direkt vor dem Gebäude. Beim finnischen Parlamentsgebäude können Sie als Tourist die Stufen auf und ab gehen. Keine Spur von Sicherheitsmeile. Leider gibt es hier auch Taschendiebe, aber in 11 Jahren als Fremdenführerin ist in meiner Gruppe noch nie etwas passiert.

 
11. Technologiefreundlichkeit, Internet
In Finnland ist man technologiefreundlich, das heißt in allererster Linie erhofft man sich Verbesserungen durch den Einsatz neuer Technologien und sieht nicht – wie in Deutschland – nur ihre möglichen Gefahren. So verwendet hier fast jeder Internetbanking. Und das Internet funktioniert wirklich schnell und ohne Probleme. In diesem Bereich fühlt sich Deutschland fast wie ein Entwicklungsland an – dort soll es sogar Orte geben, wo man noch kein Internet hat. Hier kann man sogar auf einer Fahrt durch Lappland (das im Durchschnitt zwei Einwohner pro Quadratkilometer hat) ständig online sein.

12. Last, but not least: Bessere Chancen als Frau
In Finnland wurde ich im Bewerbungsgespräch nie gefragt, wie es denn mit meiner Familienplanung stehe. Auch nicht, als ich noch im gebärfähigen Alter war. In Deutschland und Österreich mehrfach. Die blödeste aller Ablehnungsgründe wurde auch nur in Mitteleuropa genannt: dort befand man mich mehrfach „überqualifiziert“. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Helsinki hat einen akademischen Abschluss! Da wäre es auch schon schwierig, dieses als Ablehnungsgrund zu nennen. Heutzutage würde ich antworten: „Wenn Ihr Unternehmen es sich leisten kann, Arbeitnehmer mit geringerer Qualifikation mit den Herausforderungen der Zukunft zu konfrontieren, dann kann es nicht das Unternehmen sein, mit dem ich zusammen wachsen möchte“.

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