Die drittbeste Erfindung Finnlands: Der Rabattsticker

In meiner kleinen Reihe „beste Erfindungen Finnlands“ möchte ich nun direkt vor der Sommerpause 2021 eine „Good Practise“ vorstellen,  die ich schon einmal kurz in einem meiner Blogs erwähnt habe (https://claudiashelsinki.com/2019/09/21/finnland-das-gluten-und-laktosefreie-paradies/).

Ich meine die Tatsache, dass hier so gut wie jeder Supermarkt seine ablaufenden Produkte nach einem bestimmten Schema verbilligt.

Eine ganz tolle Sache, um völlig intakte Lebensmittel noch verwerten zu können und nicht wegschmeißen zu müssen.

Wie genau funktioniert es nun?

“Du machst aus Abfall etwas Gutes.” Die S-Kette ist mit dieser Aktion dabei, ihren Abfall um 50% zu verringern!

Das Personal geht jeden Tag die Regale durch, um die ablaufende Ware zu identifizieren. Während in Mitteleuropa dann die abgelaufene Ware aussortiert wird und in die Mülltonne gehauen wird, macht man es in Finnland folgendermaßen: Das Personal markiert die Ware, die am folgenden Tag abläuft, mit einem auffällig roten Sticker, siehe Bebilderungsfotos dieses Beitrags. In manchen Fällen bei länger haltbaren Produkten wird bereits einige Tage oder sogar Wochen vorher der Sticker geklebt. Der/Die Kunde oder Kundin findet nun im Regal Ware, die heute noch gut ist, wenn ich also heute mir zum Beispiel ein Brötchen holen will oder ein Stück Hühnchen, dann kann ich diese Ware in den Einkaufskorb packen und bezahle (bei den meisten Geschäften) 30% weniger.

Und dann kommt der Clou: Zwei Stunden vor Geschäftsende am Abend werden aus den minus 30% automatisch minus 60%! Darauf aufmerksam macht ein Plakat, das die „Stickerlady“ mit der Strafzettelverteilerin vergleicht, der Text lautet: „Die Zetteldame, deren Ankunft du erwartest“. Das Geschäft macht immer noch einen Gewinn, das Lebensmittel ist gerettet, der Abfall und die Kosten für die Entsorgung werden gespart und alle sind glücklich!

Wer hat es erfunden? Eingeführt wurde es von der genossenschaftlichen S-Kette. Bei diesen Läden gibt es eine Mitbestimmung der Genossenschaftsmitglieder, immerhin 2,4 Millionen Finnen sind Mitglieder, auch ich. Und die Mitglieder wollten weniger Verschwendung und Wegwerfen, da war man auch bereit, etwas auszuprobieren. Die anderen Läden mussten nachziehen, weil es nun auf einmal als verpönt gilt, nicht dabei zu sein beim Lebensmittelretten! Eine echt tolle Sache.

Je nach Supermarktkette gibt es manchmal geringfügig andere Regeln. Das oben geschilderte Modell ist das gängige, das in Läden der genossenschaftlichen S-Kette verwendet wird (S-Market, Alepa, Prisma). Die K-Kette (selbständige Kaufleute) kennt in manchen Läden nur eine Reduktionsstufe und verkauft Ware mit Sticker gleich für minus 50%. Lidl hat einheitlich minus 30% und verbilligt nicht noch mal.

Was findet man besonders: Natürlich Frischware aller Art. Also Milch und Milchprodukte (wobei Joghurts und Co. ja viel länger haltbarer sind als das Mindesthaltbarkeitsdatum sagt), besonders oft findet man Brot, Champignons, abgepackten und gewaschenen Salat, Fisch und Fleisch.

Sehr viele Lebensmittelgeschäfte schließen in Finnland um 23 Uhr, deswegen ist ab 21 Uhr Goldgräberstimmung angesagt.

Die wahren Experten sind ab circa 20.30 Uhr im Geschäft und füllen den Einkaufswagen an, damit nicht jemand anderes den Graved Lachs abfängt. Erst geht man den Supermarkt nach der ermäßigten Ware ab, und danach kann man sich dann um die Dauerware kümmern, die man natürlich auch ab und an braucht.

Gibt es überhaupt irgendeinen Nachteil an diesem System?

Wenn man so will, dann nur einen einzigen: Man muss seinen Einkauf auf den Abend verlegen und besonders für Familien mit Kindern ist das meistens kaum eine Option. Es wird halt ein Abendspaziergang, mit dem man die letzten noch fehlenden 2000 Schritte macht, die einem für die 10.000 Schritte für den Tag fehlen – würde ich als Fußgängerin ohne Auto vorschlagen. Und einen weiteren Nachteil gibt es auch, der sehr finnlandspezifisch ist. Hier ist der Verkauf von Alkohol am Abend ab 21.00 Uhr verboten. Falls man also am selben Abend noch das Feierabendbierchen besorgen will, dann muss man um 20.55 Uhr an der Kasse mit dem Bier sein und bis 20.59 Uhr (strikt!) bezahlt haben. Danach muss man nochmals seine Runde drehen. Aber weil Alkohol eh sehr teuer ist und ich gefühlte drei Mal im Jahr im Supermarkt diesen einkaufe, fällt das für mich nicht ins Gewicht. Ich gehöre zur „Tallinn-Fraktion“ (siehe https://claudiashelsinki.com/2020/03/07/wie-ich-in-finnland-ueber-die-runden-komme-10-tipps-und-tricks-auch-gerne-fuer-finnische-neubuerger/) und Tallinnreisen gibt es wegen Corona seit über einem halben Jahr nicht mehr. Ist ganz gut für die Figur und auch für die Leber, mal eine längere Abstinenzperiode einzulegen, so ganz nebenbei. Aber ich freue mich enorm darauf, wenn es wieder möglich sein wird, nach Tallinn zu reisen (dort kaufe ich besonders gerne Buchweizenflocken und Beerenpulver, das heißt getrocknete und pulverisierte Beeren; und außerdem haben sie ganz tolle Bettwäsche aus Leinen, sagt mir Bescheid, wenn ich extra einen Blog übers Shoppen in Tallinn schreiben soll).  

Sollte doch einmal eine Ware trotz Sticker am Abend nicht verkauft sein, dann ist sie wegen des Stickers so gut zu erkennen, dass das Personal in einer sehr schnellen Runde die ablaufende Ware entfernen kann.

Ich finde, so ein System gehört in jeden Supermarkt und in jedes Land. Muss man noch irgendjemandem erklären, dass Lebensmittel, die mit viel Energieaufwand produziert wurden, nicht in die Tonne gehören? Mit freiwilligen Aufrufen, doch bitte verantwortlich zu handeln, werden sich irgendwelche CO2-Ziele dann doch nicht erreichen lassen, es müssen neue Ideen her und das hier ist eine total super Idee.

Und weil ich diese Idee ganz persönlich unterstützen möchte, hier eine Bitte: Bitte postet diesen Blog auf eurer Facebook-Seite oder auch wo immer sonst und schickt sie an euren Supermarktchef. An die CEOs aller Supermarktketten. Liebe CEOs von Edeka, Spar, Metro, Migros, Billa, Coop und wie ihr immer auch heißt:

Wenn ihr dieses System in euren Supermärkten einführt, dann gibt es als Belohnung von mir eine persönliche Stadtrundführung in Helsinki. Geschenkt, einfach bei mir melden! Ganz wichtig: Ich glaube, dass die Verbraucher:innen einen solchen Supermarkt belohnen werden, der das als ERSTES einführt. Kann Ihre Kette diese Chance verpassen?

Mit diesem Gedanken möchte ich mich in die Sommerpause verabschieden. Ich hoffe, dass irgendwann diesen Sommer dann doch einige Gäste nach Finnland kommen werden. Gerade gestern las ich eine zaghafte Prognose von Phoenix-Reisen Bonn, das es mit den Hochseekreuzfahrten wieder Mitte Juli losgehen könnte. Herzlich willkommen in Helsinki! Es wäre schön, wenn ich diesen Satz wieder persönlich meinen Gästen sagen könnte. Bleibt bis dahin gesund!

Selbstgesammelte Morcheln von diesem Frühjahr, garantiert nicht aus dem Supermarkt!

Ein Gedanke zu “Die drittbeste Erfindung Finnlands: Der Rabattsticker

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