Die ultimativen 10 Tipps zum Finnischlernen

Du brauchst einen Neujahrsvorsatz und hast vor, in nächster Zeit nach Finnland zu ziehen?

Da hätte ich was für dich.

Ein guter Anfang…

Am 1. März 1988 kam ich als Au-pair nach Finnland. Ich hatte circa 30 Wörter Finnisch in meinem aktiven Wortschatz, die ich während der gemeinsamen Finnlandsommer (wir fuhren als Familie fast jeden Sommer nach Finnland, da ich eine finnische Mutter habe, die aber leider ausschließlich Deutsch mit mir gesprochen hat) gelernt hatte: kiitos*, mansikkajäätelö*, maitolaituri*, en osaa suomea*. Alle anderen Versuche, mein Finnisch zu verbessern, waren unbeholfen und ohne großartigen Erfolg, dazu zählte etwa ein Finnischkurs an der Volkshochschule. In Finnland angekommen, war das Finnischlernen kein Spaziergang. Wer überhaupt glaubt, irgendeine Fremdsprache „nebenher“ lernen zu können, ist entweder Einstein oder macht sich Illusionen. Falls man wie ich vorhat, die Fremdsprache als ARBEITSSPRACHE zu erlernen.

Nach einem halben Jahr konnte ich mich auf Finnisch ausdrücken. Also muss ich irgendwas richtig gemacht haben. Und natürlich hatte ich auch ein Quäntchen Glück, in der Form der besten Au-pair-Familie, die man sich vorstellen kann.

Gerade deswegen werde ich ab und zu gefragt, wie man am besten Finnisch lernen sollte. Hier also meine Tipps. Da ich auch seit über 25 Jahren Deutsch als Fremdsprache unterrichte, bin ich vom Fach und habe die eine oder andere Erfahrung auf dem Buckel.

Zunächst ein paar Vorbemerkungen. Natürlich hängt es immer vom Einzelfall ab. Hast du eine finnische Freundin oder einen finnischen Freund? Oder kommst du mit deinem deutschsprachigen Partner nach Finnland? Hast du bereits Erfahrung im Lernen einer Fremdsprache oder war bereits Englisch für dich in der Schule ein rotes Tuch? Kennst du deinen Lerntyp – lernst du nur, wenn du dir das Wort aufschreibst, reicht es dir, das Wort gesprochen zu hören?

Wie viel Zeit kannst und willst du investieren?

Das Wichtigste ist jedoch deine Motivation. Bist du eher der Meinung, dass du mit Englisch durchkommen solltest und sich die Finnen auf dich einstellen sollten? Hälst Finnisch für eine unerlernbare Sprache, die sowieso niemand lernen kann? Dann wird sich deine Prophezeiung auch erfüllen und du wirst es nicht erlernen.

Gehen wir aber hier vom Idealfall aus: Du bist motiviert und du bist bereit, pro Tag mindestens eine halbe Stunde in aktives Finnischstudium zu investieren. Darunter geht nicht. Plus einen Kurs. Im Land.

Da ich in diesem Blog nicht auf Einzelfälle eingehen kann, möchte ich daher eher ein Vorgehen schildern, mit dem man meiner Erfahrung nach sogar innerhalb von einem halben Jahr dazu kommen kann, Finnisch so zu lernen, dass du dich durchschlagen kannst.

  1. Bevor du nach Finnland kommst: Belege einen Kurs Finnisch. Egal wo, Volkshochschule. Fang an, die wichtigsten Worte zu erlernen. Minimum: Die Zahlen auf Finnisch!
  2. Schau dich nach einem Tandem-Partner um. Das ist jemand, der Finnisch als Muttersprache spricht und der sein eigenes Deutsch verbessern möchte. Du korrigierst sein Deutsch und er bringt dir Finnisch bei. Du bringst ihm Deutsch bei. Wenn du jemanden findest, mit dem du auf einer Wellenlänge bist, dann ist das unglaublich effektiv. Nehmt Lehrwerke für Anfänger für das Finnische. Das Deutsche deines Tandempartners sollte dagegen schon auf mindestens B2-Niveau liegen. Das heißt, dass du z.B. seine Artikelfehler im Deutschen korrigierst. Nehmt euch eine regelmäßige Zeit vor, z.B. einmal oder zweimal die Woche, und trefft euch per ZOOM oder Skype. Ich selbst hatte eine super gute Tandem-Lehrerin, die jedoch nach drei Monaten aus Helsinki wegzog und damit fiel der Finnischunterricht bei ihr flach.
  3. Dann ziehst du nach Finnland um. Such dir SOFORT einen passenden Finnischkurs an der Volkshochschule, Universität oder über das System der Open University oder Open University of Applied Sciences (offene Fachhochschulen). Warte nicht damit, sondern belege sofort einen Kurs. Zweimal die Woche. Mach regelmäßig die Hausaufgaben. Dieser Tipp gilt auch und gerade für Menschen, die fast eine Art von „Grammatikallergie“ haben, weil sie alles hassen, was mit Grammatik zu tun hat. Warum? Wenn du nicht das System des Finnischen (anstelle von Finnisch kannst du hier jede beliebige Sprache einsetzen) erkennst, dann läufst du Gefahr, dass du dir falsche Formen antrainierst, insbesondere dann, wenn dein Partner dich nicht korrigiert – oder überhaupt niemand. Das führt zum Zustand der sogenannten „Fossilisierung“, in dem ständig dieselben Fehler wiederholt werden, die danach so gut wie nicht mehr „austrainierbar“ sind. Insbesondere, wenn du vorhast, die fremde Sprache auch schriftlich zu beherrschen, ist das ein Weg ohne Perspektive. Überwinde deinen inneren Grammatikschweinehund und schließe Freundschaft mit der Grammatik. Die meisten schlechten Erinnerungen sind aus Zeiten, als Grammatik noch nicht wirklich didaktisch sinnvoll erklärt wurde. Aber warum gibst du einem alten Englischlehrer von dir die Macht, über dein zukünftiges Finnischlernen zu bestimmen, nur weil der so katastrophal war?
  4. Lerne die strategisch wichtigsten Sätze, damit du in Finnisch nachfragen kannst. Also „Könnten Sie langsamer sprechen?“, „Ich verstehe das nicht, könnten Sie das wiederholen?“ „Was bedeutet das?“. Die Sätze musst du dir einbimsen. Sonst musst du immer auf Englisch ausweichen, und das behindert die Entwicklung deines Finnisch.
  5. Lerne strategisch die Vokabeln (schließe Freundschaft mit Quizlet, dem besten Vokabellernprogramm im Internet!). Bei www.quizlet.com kannst du entweder nach fertigen Lernsets schauen, die schon jemand anderes entworfen hat, für überraschend viele Lehrwerke gibt es schon fertige Lernsets. Gibt es nichts Passendes, dann entwirfst du dein eigenes, und lernst auch noch dabei. Bist du älter und kannst dem Internet absolut nichts abgewinnen, dann bleibt immer noch das alte Karteikartensystem, mit dem ich gelernt habe. Kleine Karteikarten besorgen, auf eine Seite der Karteikarte kommt der finnische Begriff, auf die andere die deutsche Übersetzung. Zuerst gehst du die Karten durch, ob du das Finnische verstehst. Verstehst du alle, dann dreh es um. Schau jetzt die deutsche Seite an und check, ob du das Wort auch auf Finnisch kannst. Du kannst das System perfektionieren, indem du diejenigen, die du kannst, nach drei Wochen nochmals durchnimmst und dann nach drei Monaten nochmals. So stellst du sicher, dass das Wort von deinem Kurzzeitgedächtnis auch langsam schließlich und endlich in dein Langzeitgedächtnis „durchsickert“. Diejenigen Karten, die immer wieder Probleme bereiten, mit Gummiband und als Päckchen in alle aktuellen Manteltaschen – so hast du bei jeder Bus- oder Bahnfahrt ein Päckchen zum Üben. Mach dir ein Zeitbudget, ich habe damals eine Stunde pro Tag gelernt.
  6. Höre nach dem Umzug zuhause ausschließlich finnisches Radio und schaue finnisches Fernsehen. Zumindestens an sechs Tagen in der Woche, so kannst deinem Gehirn einen Tag Ruhepause mit WDR oder NDR 2 genehmigen.
  7. Wenn du deutschsprachige Medien verfolgen willst, dann nur strategisch: Also schau erst die Tagesschau, und danach die finnischen Nachrichten. So weißt du schon, was passiert ist und verstehst die finnischen danach viel besser.
  8. Es macht wesentlich mehr Sinn, Wörter zuerst zu lernen, die in der Sprache hochfrequent sind. Also „sein“, olla ist das häufigste Wort der finnischen Sprache; und seine wichtigsten Formen; im Deutschen wäre es übrigens „der“. Das lernst du als erstes, irgendwann später auf Platz 100 tietää (wissen), im Deutschen wäre es „mit“ und auf Platz 1000 asukas (Bewohner), im Deutschen übrigens „Veranstaltung“. Daher mein ultimativer Tipp: Einsatz des Frequenzwörterbuchs. Setze dir zunächst ein Ziel, wie viele Wörter du lernen möchtest, in welcher Zeit. Dazu lohnt es sich, zu wissen, wie viele Wörter man im Durchschnitt braucht, um einen Normaltext verstehen zu können (passives Wissen). Die gute Nachricht: Längst nicht so viele, wie in dem kleinsten Wörterbuch stehen! So kamen über 58% aller Worte, die im Korpus des finnischen Frequenzwörterbuchs (Saukkonen, Haipus, Niemikorpi, Sulkala: Suomen kielen taajuussanasto. WSOY 1979; siehe Foto) stehen, nur ein einziges Mal vor! Mit anderen Worten ist mehr als die Hälfte aller Worte so „unnutz“ beim Lernen, dass du sie vernachlässigen kannst. Wenn sie dir mit einer Frequenz von einmal im Leben über den Weg laufen, dann kannst du sie immer noch in einem Wörterbuch nachschlagen. Dazu gibt es Untersuchungen aus anderen Sprachen, die sich jedoch so ähnlich sind, dass das Ergebnis im Finnischen nicht wesentlich davon abweichen wird. Mit einem Grundwortschatz von circa 2000 Wörtern erfasst man im Englischen 85% eines Normaltextes, im Finnischen sind es allerdings laut Frequenzwörterbuch nur 74%. Das Gefühl, alles zu verstehen, hast du allerdings in vielen Fällen erst, wenn du 85% eines Normaltextes verstehst, du kannst dir allerdings auch antrainieren, weiterzulesen, auch wenn du nicht alles verstehst (das Gefühl ist sehr individuell, manche haben eine große Frustationstoleranz, andere geben schon beim zweiten unbekannten Wort auf, auch das solltest du trainieren). ————- Leider brauchst du für die weiteren 10% nochmals 2500 Wörter (für das Englische ist das untersucht). Mit einem kleinen Experiment kannst du das hier Gesagte für dich selbst checken. Markiere an einem von dir geschriebenen Text 1000 Worte. Du wirst merken, dass das zum Beispiel circa zwei DIN A 4-Seiten sind. Dann streiche 260 der Wörter und überlege, ob du den Text noch verstehen kannst. Da wärest du bei 74% Verständnis. In einem zweiten Experiment streiche nur 150 Wörter, da wärest du bei 85% Verständnis. (Bei 100 Wörtern fällt der Unterschied nicht so extrem auf – ob du ein, zwei oder drei streichst, scheint keinen großen Unterschied zu machen, die meisten Texte sind allerdings eher in Richtung 1000 Wörter, zum Beispiel Zeitungsartikel.) Wenn du unbedingt annähernd 90% verstehen willst – dann musst du 10.000 Wörter lernen. Das ist fast schon der aktiven Wortschatzes eines gebildeten Muttersprachlers, der zwischen 12.00 und 16.000 beträgt. Nur zum Vergleich: Der aktive Wortschatz von Goethe betrug circa 90.000 Wörter.Andersherum bedeutet es aber auch, dass die ersten 2000 Wörter die absolut wichtigsten sind, in die du am Anfang alle Kraft und Energie stecken solltest. ———– Wie schnell möchtest du diese lernen? Willst du diese in einem halben Jahr lernen, solltest du pro Tag circa 11 neue Wörter lernen – kein unmögliches Ziel. Gibst du dir ein Jahr Zeit, dann reichen etwas über 5 Wörter – ein sehr realistisches Ziel. Ich würde dir absolut nicht raten, dir langsamere Ziele zu setzen. Aus einem psychologischen Grund: Sobald du schnell die wichtigsten Vokabeln lernst, erlangst du Erfolgserlebnisse, die dich im Lernen weiter beflügeln. Du kommst in eine positive Lernspirale. Außerdem: Hast du wirklich vor, die nächsten zehn Jahre mit Finnischlernen zu verbringen? Sobald du über die Schwelle der 2000 Worte drüber bist, geht es fast von alleine weiter. Diesen Tipp kannst du adaptieren, wenn du bereits mit dem Finnischlernen angefangen hast. So habe ich es gemacht: Du besorgst dir das Frequenzwörterbuch und gehst es von Platz 1 an durch. Sobald du Wörter findest, die du nicht kennst, gehören die auf Karteikarten (siehe Tipp 5) oder in ein eigenes Quizlet-Lernset. Mein Ziel damals war, es die 4000 hochfrequentesten Wörter zu lernen. Bei 4005 machte ich Schluss, das war unter anderem „Ahvenanmaa“ (Åland). Das Frequenzwörterbuch geht übrigens bis Platz 11.536, da gibt es viel zu lernen, auch für Fortgeschrittene. ———- Irgendwann wäre es toll, wenn wir eine überarbeitete Version des Frequenzwörterbuchs in die Hand bekommen würden, da die jetzige Version auf einem Korpus aus den Jahren 1961-1967 besteht. In einer aktuelleren Version würde die „Sowjetunion“ wohl kaum mehr auf Platz 472 stehen, die „markka“ (die finnische Mark) wäre nicht mehr auf Platz 556 und die Tschechoslowakei auch nicht mehr auf Platz 743! Mehr über das Frequenzwörterbuch findest du auch in anderen Blogs von mir: https://claudiashelsinki.com/2020/03/14/sprachvergleich-finnisch-deutsch-anhand-der-frequenzlisten-des-wortschatzes/ sowie https://claudiashelsinki.com/2020/03/21/menschen-im-mittelpunkt/ und https://claudiashelsinki.com/2020/03/27/natur-im-mittelpunkt/. Hier noch eine Statistik, die dich am Anfang beflügeln sollte: die 100 häufigsten Worte des Finnischen machen über 35% eines Textes aus, die 200 häufigsten über 42%, die häufigsten 300 über 48%. Mit den 400 häufigsten Wörter überschreitest du mit über 51% die magische Hälfte der Wörter eines Normaltextes! Mit 1000 Wörtern sind fast 65%, mit 2000 bist du bei 74%. Noch ein Bonus: das Frequenzwörterbuch beruht auf geschriebener Sprache, und die ist bekanntlich oft schwieriger als gesprochene Sprache. Wenn man diese Systematik einmal erkannt hat, dann versteht man, dass es ganz besonders lohnt, am Anfang des Fremdsprachenlernens ordentlich Zeit und Energie zu investieren, ein Motto, dass ich immer wieder versuche, meinen Studierenden nahzubringen, jedoch oft ohne Erfolg.
  9. Suche dir Apps, die zu deinem Stil, Fremdsprachen zu lernen, passen.
  10. Fange an, die finnische Zeitung zu lesen. Fang an mit den Überschriften. Setze dir zum Ziel, ausschließlich die Überschriften zu verstehen. Mache weiter mit dem Bildunterschriften, da hilft das Bild die Message zu verstehen. Wage dich danach an die finnische Yellow Press. So wie die „Bild“ einfacher ist als die Frankfurter Allgemeine Zeitung, so ist auch Iltalehti einfacher als Helsingin Sanomat.

Nichts, rein gar nichts ist mit dem Gefühl zu vergleichen, zu wissen, dass du die 2000 wichtigsten Wörter des Finnischen verstehst, die Zeitung aufschlägst und alle Bildüberschriften verstehst. Sobald du deinen ersten Traum hast, in dem Finnisch geredet wird, hast du es geschafft!

*: danke, Erdbeereis, Milchabholstelle, ich kann kein Finnisch

Ein Gedanke zu “Die ultimativen 10 Tipps zum Finnischlernen

  1. Das mit dem Frequenzwörterbuch ist ein super Tipp. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Ich habe Finnisch im Selbststudium, im Unikurs und über meinen finnischen Freund gelernt. Leider bin ich faul geworden. Ich verstehe fast alles und kann auch alles zum Ausdruck bringen, das ich möchte. Aber ich mache oft Grammatikfehler, manchmal sogar Anfängerfehler. Zu der Zeit, als ich die Unikurse besuchte, wäre mir das nicht passiert. Da kannte ich die Grammatik viel besser. Aber nach 10 Jahren habe ich die Regeln vergessen und spreche irgendwie aus dem Gefühl. Immer wieder nehme ich mir vor, die Regeln zu wiederholen, aber ich kann mich nicht aufraffen, da es ja irgendwie auch so klappt….

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