Die finnische Steuererklärung: der feuchte Traum eines Wirtschaftswissenschaftlers (Teil 2)

Im ersten Teil (siehe Die finnische Steuerklärung: der feuchte Traum eines Wirtschaftswissenschaftlers (Teil 1) ging es die ersten beiden Unterschiede zwischen Finnland und Deutschland, es folgen weitere sieben Unterschiede.

Unterschied Nr. 3:
Das finnische System beruht auf Pauschalen, das deutsche System will dem Einzelfall gerecht werden. Beides zusammen gibt es nicht. Im finnischen System gibt es keine Ausnahmen. Das Prüfen von Ausnahmen würde sehr viel Personal erfordern, was wiederum Geld kostet. Daher gibt es keine Ausnahmen. Was in Mitteleuropa unter den Begriff “außergewöhnliche Ausgaben” fällt, können Sie in Finnland vergessen. Hier können weder Begräbniskosten noch Krankheitsausgaben abgesetzt werden, auch wenn der Arzt Ihnen bei Androhung des baldigen Ablebens irgendetwas verordnet hat, das die Krankenkasse Ihnen nicht oder nur teilweise erstattet: Sie bleiben auf diesem Posten sitzen. In Finnland wird das als Pech angesehen. Sind Sie dagegen als invalid eingestuft worden, dann bekommen Sie eine pauschale Steuererleichterung. Chronisch Kranken kommt die Krankenkasse in der Form entgegen, dass man, wenn man pro Kalenderjahr die Grenze von ungefähr 600 Euro für Medikamentenkosten überschritten hat, für alle weiteren Medikamente nur noch einen Pauschalbetrag von 2,50 Euro zahlen muss, auf diesem Betrag bleiben alle sitzen. Ganz genau: die ersten circa 70 Euro Medikamentenkosten zahlt jeder als Selbstbehalt, danach gibt es prozentmäßige Erstattungen, so dass man immer im eigenen Geldbeutel fühlt, wie viel das Medikament kostet, gestaffelt in zwei Erstattungsklassen. Die bessere Erstattungsklasse gibt es nur, wenn man über ein Jahr an einer chronischen Krankheit gelitten hat, ein Arzt darüber ein Gutachten geschrieben hat und man die verordneten Medikamente auch in der verordneten Menge gekauft hat. Speziell definierte Ausnahmen davon sind Medikamente bei Krebs und einigen anderen ganz wenigen lebensbedrohlichen Krankheiten. Die finnische Krankenversicherung stöhnt übrigens nicht über die Kostenexplosion. Da in Finnland die Steuer auch einen Großteil des Gesundheitssystems finanziert, vor allem über die Kommunalsteuern, die hier jeder zahlt, sind diese Bemerkungen durchaus angebracht.

Unterschied Nr. 4:
Es gibt keine Absetzen von spekulativen Investitionen (Werften, Schiffsbau etc.). Ob Merz damit so glücklich wäre… Was Sie absetzen können, sind ab 2019 nur 25% der für eine in der eigenen Eigentumswohnung oder dem eigenen Haus aufgewendeten Zinsen. Bei der derzeitigen Zinssituation also ein paar Euro fünfzig. Das war’s.

Unterschied Nr. 5:
Der massive Einsatz vom Internet und Digitalisierung hier im Norden. Ab dem nächsten Jahr ist die Steuererklärung im Internet für alle der Regelfall, für Unternehmer ist sie jetzt schon Pflicht. Ab 2019 geht der Staat dazu über, in Realzeit zu besteuern, das heißt, er legt ein zentrales Einkommensregister an, an das alle Stelle innerhalb von zwei Tagen alle geleisteten Zahlungen gemeldet werden müssen. Zeichnet sich ab, dass zu viel oder zu wenig Steuer bezahlt wird, dann kann mitten im Jahr der Betrag so angepasst werden, dass es am Ende des Jahres weder böse noch nette Überraschungen gibt. Zum Leidwesen des Einzelhandels, den die Geldspritze gerade zu Beginn der Weihnachtszeit immer gefreut hat.

Unterschied Nr. 6:
Das Finanzamt in Finnland ist ansprechbar und gibt freundlich gute und umfassende Auskünfte, auch an Unternehmer. Ich selbst hatte für Claudias Helsinki eine Frage wegen Einkünften aus der Schweiz, die Dame am Telefon konnte mir zunächst nicht weiterhelfen, nahm aber meine Daten auf und rief mich zurück, mit einer umfassenden und ausreichenden Antwort. Versuchen Sie das mal beim Finanzamt in Hamburg Mitte!

Unterschied Nr. 7:
Jeder wird individuell besteuert, es gibt keine unterschiedlichen Steuerklassen für Verheiratete und Singles, ein Herummanövrieren mit den verschiedenen Steuerklassen hat es hier nie gegeben, übrigens genauso wenig wie in allen nordischen Staaten. Daher lohnt sich auch heiraten nicht, jedenfalls steuerlich nicht.

Unterschied Nr. 8:
Es gibt kein Steuergeheimnis. In keinem der nordischen Staaten. Jährlich erscheint in der Presse der sogenannte Steuerkalender, in dem eine Hitliste der am meisten Steuer zahlenden Bürger zu finden ist, säuberlich getrennt in Einkünfte aus Erwerb und aus Kapital. Manch ein Mitteleuropäer wundert sich übrigens, das hier auch Nachlassenschaften zu finden sind. Einige der Nachlassenschaften sind nämlich so kompliziert abzuwickeln, dass es für alle einfacher ist, die Nachlassenschaft zu besteuern, es gibt offensichtlich keine Fristen, wann eine solche abgewickelt sein muss… Schlaue Damen werfen auch gerne schnell einen Blick in den Kalender, um herauszufinden, wer von den Topsteuerzahlern denn noch Junggeselle ist. Falls Sie jetzt auf den Gedanken kommen, dass auch Kriminelle diese Listen studieren, um mögliche Kidnappingopfer herauszufinden: in Finnland gab es noch keinen einzigen Fall von Kidnapping, der für den Kidnapper erfolgreich ausgegangen wäre. Das wissen auch die Kriminellen – und im Übrigen auch die reichen Russen, die unter anderem aus diesem Grund so gerne mit ihren Familien in Finnland Sommerresidenzen betreiben. Aber zurück zu der Steuer, Steuerdaten sind also nicht geheim, die Polizei kann zum Beispiel auf Knopfdruck in ihrem Laptop herausfinden, wie viel Sie letztes Jahr verdient haben. Das tut sie auch, wenn Sie zu schnell gefahren sind. Ihre Strafe bemisst sich in Tagessätzen von ihrem Verdienst des letzten Steuerjahres. Haben Sie pro Tag 10000 Euro verdient, dann kostet Sie Schnellfahren leider einmal 30000 Euro, das sind ja nur drei Tagessätze! Ist einem finnischen Millionär so passiert, wenn er Student gewesen wäre, wäre es so viel billiger geworden… das ist finnische Steuergerechtigkeit.

Unterschied Nr. 9:
Hier zahlen alle Kommunalsteuern, diese unterscheidet sich geringfügig je nach Wohnsitzgemeinde. Reiche Kommunen besteuern mit milder Hand, arme müssen tiefer in Ihre Tasche greifen. Nur wenn Sie weniger als circa 14.000 Euro im Jahr verdienen, dann zahlen Sie keine Steuer. Verdienen Sie mehr als das, aber weniger als circa 17.000 Euro im Jahr, zahlen Sie nur Kommunalsteuern, wer mehr verdient, zahlt sowohl Kommunal- als auch Staatssteuern.

Unterschied Nr. 10:
Eine wesentliche höhere Zahlungsmoral als in Mitteleuropa, trotz einer insgesamt höheren Steuerlast! Sage und schreibe 79% der Bevölkerung zahlt gerne ihre Steuern, das fand die Steuerbehörde in einer von IROResearch durchgeführten Umfrage 2017 heraus (https://www.mtvuutiset.fi/artikkeli/79-prosenttia-suomalaisita-maksaa-veroja-mielellaan-luku-noussut-viime-vuosina/6637618#gs.uxXb2ks). 96% erachten das Zahlen von Steuern als wichtig für die Aufrechterhaltung des Wohlstandsstaates und 93% bezahlten pünktlich ihre Steuerschulden. Ich behaupte: die Zahlungsmoral hängt (auch) intrinsisch davon ab, dass jeder das System verstehen kann. Wenn ich die Logik verstehe, nach der ich besteuert werde, bin ich auch wesentlich mehr dazu bereit, in dieses System einzuzahlen.

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Und nun die Überraschung: es gibt einige Waren, für deren Verkauf Sie in Finnland keine Steuern abführen müssen. Es sind selbstgepflückte Beeren und Pilze. Verkaufen Sie diese entweder an Restaurants oder andere Firmen, können Sie brutto für netto in der eigenen Tasche belassen. Egal, ob Sie finnischer Bürger sind oder nicht (deswegen haben wir jeden Sommer Pflücker aus Thailand), den schließlich gilt das Jedermannsrecht (siehe mein Blog Das Jedermannsrecht). Bevor Sie sich im nächsten Urlaub nach Ostfinnland aufmachen, um die dortigen Steinpilzvorräte zu plündern: erstens sollten Sie sich auskennen, wo es so viele gibt, dass sich das Sammeln lohnt, zweitens kann das jedes Jahr die Ernte ein wenig anders ausfallen und drittens müssen Sie damit rechnen, dass sich höchstwahrscheinlich Horden von finnischen Mücken, der berühmten finnischen Luftraumverteidigungsdivision, über Ihren Besuch freuen werden. Ganz besonders, wenn Sie es auf die Moltebeere abgesehen haben, die zwar am meisten Geld bringt, leider aber im Sumpf am besten wächst. Herzlich willkommen, jeder bei diesen Tätigkeiten erwirtschaftete Euro ist so hart verdient, dass es Ihnen jeder gönnt, der einmal selbst im Wald gewesen ist und gesammelt hat.

Nun dürfen Sie selbst entscheiden, welches System Ihnen besser gefällt. Ich befürchte aber, dass die Lobby der Steuerberater schon dafür sorgen wird, dass es in Deutschland beim kompliziertesten Steuersystem der Welt bleiben wird.

9 Gedanken zu “Die finnische Steuererklärung: der feuchte Traum eines Wirtschaftswissenschaftlers (Teil 2)

  1. toll geschrieben – Danke! – noch anzumerken wäre, dass es noch ein paar Eigenheiten des Steuersystem gibt, die ich jetzt nicht ganz so gut finde: keine Spekulationssteuer für Immobilien (egal ob eigengenutzt oder vermietet), was die Preise in die Höhe treibt oder auch extrem niedrige Schenkungsfreibeträge für Familienmitglieder (irgendwie 3000€ p.a.)

    und auch nicht zu vergessen: die Steuerzahlungswilligkeit kommt auch daher, dass eben alles so offen ist. Alle haben Angst ertappt zu werden, also macht man keinesfalls was um auch nur in den Verdacht einer Steuerhinterziehung zu kommen….

    • Stimmt nicht ganz mit ”keiner Spekulationssteuer”. Die Immobilie muss mindestens zwei Jahre ununterbrochen von einem selbst bewohnt worden sein, damit keine Steuer auf den Gewinn zu zahlen ist. Auch eine einzige Nacht in Airbnb-Verwendung verhindert die Steuerfreiheit.

      • interessant, war vor 2 Jahren nicht so (jedenfalls war das die Antwort meiner Finnische Familie auf die Frage ob es Spekulatonssteuer gibt: nein gibt’s nicht) – in Deutschland 10 Jahre Haltefrist oder selber drin wohnen (unklar wie lange, vermutlich reicht 1 Tag nicht! eher 2 Monate?)

      • Soll heissen es gibt nur eine Möglichkeit den Gewinn nicht zu versteuern und das ist mindestens 2 Jahre drin zu wohnen? Egal wie lange man die Wohnung hat, man bezahlt als nicht Eigennutzer immer Steuern auf den Gewinn? Welcher Steuersatz bei nicht Finnland steuerpflichtigen?

  2. Für in Finnland erwirtschafteten Gewinn aus Immobilien – egal ob Vermietung oder Verkauf – ist man meines Wissens nach immer auch in Finnland kapitalertragssteuerpflichtig (auch wenn man nicht dort wohnt), das nennt sich „bedingt oder teilweise steuerpflichtig“, das heißt, man ist nur für die in Finnland erwirtschafteten Gewinne in Finnland steuerpflichtig. Macht man woanders Gewinne, werden die woanders versteuert. Das ist übrigens vergleichsweise milde, Österreich besteuert zum Beispiel Eigentümer im Ausland mit imaginären Gewinnen (soll Spekulantentum verhindern). Man zahlt die Kapitalgewinnsteuer, ist 30% auf den Gewinn (bis 30.000) und 34% bei über 30.000.. Beispiel: Man hat die Wohnung für 100.000 gekauft und verkauft sie für 200.000. Man zahlt auf die 100.000 Gewinn eine Steuer von 30%, hier also 30.000 Euro. Genau so ist es: Die einzige Möglichkeit, dieser Steuer zu entgehen, ist, dass man mindestens 2 Jahre am Stück drin wohnt. ACHTUNG: eine einzige über Airbnb vermietete Nacht unterbricht diese zwei Jahre, darüber hat es schon eine Gerichtsentscheidung gegeben. Das bedeutet natürlich gleichzeitig, dass man die zwei Jahre auch komplett in Finnland steuerpflichtig ist, mit allen Einnahmen, sonst wohnt man nicht wirklich dort. Alle Angaben ohne Gewähr, bin weder Juristin noch Steuerberaterin.

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