Finnland – das Land der Vernünftigen

Nach fast zwölf Jahren Leben und Arbeit in Finnland und fast elf Jahren davon auch als Fremdenführerin werde ich immer wieder gefragt, was die grundlegenden Unterschiede zwischen diesem Land und Deutschland seien. Neben den vielen touristischen Antworten („finnische Sauna in Deutschland ist nicht gleich finnische Sauna in Finnland“) hier eine weitere, für die ich viele Indizien gefunden habe:
Finnland ist das gelobte Land der Vernunft!
Beispiel 1: Der Arzt gibt einem hier nicht die Hand (siehe Foto). Alles Andere wäre unvernünftig und das ist man hier nicht.
Beispiel 2: Die finnische Steuererklärung ist der feuchte Traum eines deutschen Volkswirtschaftlers, allerdings auch der Albtraum des deutschen Steuerberaters – weil er in Finnland arbeitslos wäre. Kein anderes Land kommt der „Steuerklärung auf dem Bierdeckel“ (Schöpfung des früheren Unionsfraktionschefs Friedrich Merz) so nahe wie Suomi. Jeder Bürger erhält im Frühjahr eine vorausgefüllte vierseitige Steuerklärung nach Hause geschickt. Stimmen alle Daten und ist nichts zu ergänzen, braucht er nichts zu tun. Muss etwas geändert werden, weil er zum Beispiel berufliche Ausgaben hatte, von denen die Steuer nichts wusste, füllt er die fehlenden Angaben in das Formular (selbstredend auch möglich im Internet) und schickt es pünktlich bis zum Stichtag im Mai (!) ein. Diese vier Seiten sind so einfach, dass auch die Oma in Pihtipudas (entspricht der deutschen Oma in Wanne-Eickel) sie ausfüllen kann. Ein Steuerberater wird dafür nicht gebraucht. Allerdings darf man natürlich auch nicht erwarten, in Finnland außergewöhnliche Belastungen absetzen zu können.
Beispiel 3: Finnen vertrauen Experten, um vernünftige Lösungen für Probleme zu finden. Das finnische Schulsystem ist dafür ein gutes Beispiel. Während in deutschen Landen jede Veränderung der politischen Landschaft zu einer neuen Schulreform führt (weil jeder Politiker glaubt zu wissen, wie es besser funktioniert), lassen die finnischen Politiker Professoren und Lehrer vernünftige Lösungen finden, unter anderem die finnische Gesamtschule für alle. Während ein deutscher Konservativer sich nicht einmal von einem Harvard-Professoren dazu bewegen lassen würde, sein Kind auf eine Gesamtschule zu schicken, lassen in Finnland auch konservative Regierungen die Hände weg von der Gesamtschule: was Jahrzehnte lang seinen Erfolg bewiesen hat, bleibt, komme, was wolle. Auch der konservativste Politiker in Finnland würde nicht im Traum daran denken, zum dreigliedrigen alten Schulsystem zurückzukehren.

Das Ganze heißt natürlich nicht, dass in Finnland immer vernünftig entschieden wird – im Gegenteil! Aber es heißt, dass in der Summe die Entscheidungen hier im Norden eher an der Vernunft ausgerichtet werden als nach politischen Lagern und Vorurteilen.
Voltaire hätte seine Freude gehabt an diesem Land.

3 Gedanken zu “Finnland – das Land der Vernünftigen

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